
Sinti und Roma in Hessen
Ausgrenzung und Verfolgung einer Minderheit vom 16. Jahrhundert bis nach dem Zweiten Weltkrieg
Udo Engbring-Romang
Im September 1407 wurden zum ersten Mal Sinti im deutschen Sprachraum erwähnt. Ihr Auftreten wird im Amtsbuch der Stadt Hildesheim notiert. Wenige Zeit später sind sie urkundlich auch im heutigen hessischen Raum, in Frankfurt am Main, genannt. Nur wenige Jahrzehnte später beginnt die Ausgrenzung, Diskriminierung, Vertreibung und Verfolgung dieser Gruppe in Europa, das das sie als ihre Heimat betrachten.
Die Ausstellung
In dieser Ausstellung werden Dokumente zur Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma in Hessen bzw. im nord- mittel- und osthessischen Raum präsentiert, die sich weitestgehend im Hessischen Staatsarchiv Marburg befinden. Exemplarisch kann für diese Region die Verfolgungsgeschichte einer ethnischen Minderheit über Jahrhunderte nachgezeichnet werden.
Die jeweiligen Einleitungen versuchen den Zusammenhang mit der deutschen bzw. europäischen Geschichte skizzenhaft herzustellen. Für die NS-Zeit, besonders für den Völkermord, werden die Quellen aus dem Regierungsbezirk Kassel ergänzt durch einige Interviews, die der Autor zwischen 1995 und 2002 geführt hat bzw. an denen er selbst beteiligt gewesen ist. Die Originalaufnahmen (Cassetten, Filme etc.) befinden sich in seinem Besitz bzw. die Transkriptionen beim Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen, in Darmstadt.
Unterstützt wurden die Recherchen von der Hessischen Staatskanzlei, dem Hessischen Kultusministerium und vom Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen.
Zur Begrifflichkeit:
Antiziganismus: Vorurteile, Abwehrhaltung und Politik der Mehrheitsbevölkerungen gegen Sinti und Roma, die sich über "Zigeunerbilder" äußert
Das Wissen über das Leben der Sinti und Roma in der Vergangenheit ist sehr begrenzt, da es fast keine eigenen, selbst verfassten Schriftquellen gibt. Fast alle Informationen, die es heute gibt, wurden von Nichtsinti und -Roma gesammelt und weiter gegeben.
„Zigeuner“
„Zigeuner“ ist eine Fremdbezeichnung, die seit dem 15. Jahrhundert im deutschen Sprachraum für Sinti und Roma benutzt wird. Der Begriff leitet sich wahrscheinlich von Atingoi (gr. für Unberührbare) ab. Er wurde im slawischen und ungarischen Sprachraum ähnlich eingesetzt. In England gibt es den Begriff gipsy, in Spanien gitano. Die Wörter leiten sich von Ägypten ab. Auch in der französischen Sprache werden die Begriffe "Ägypter" und "Zigeuner", dazu "Böhmen" synonym gebraucht.
Der Zigeunerbegriff ist mit Bildern verbunden, die mit vielen negativen Assoziationen verbunden sind, die dann wiederum auf die Sinti und Roma übertragen werden. Der "Zigeuner" ist damit eine Konstruktion. Viele Menschen der deutschen bzw. der europäischen Mehrheitsbevölkerungen bedienen sich unbewusst oder auch bewusst des Begriffes, was von Sinti und Roma als Respektlosigkeit oder Beleidigung empfunden werden kann.
Antiziganismus und „Zigeuner“-Bilder
Antiziganismus ist ganz allgemein die Abwehrhaltung der Mehrheitsbevölkerung gegen Sinti und Roma; er reicht von Vorurteilen und Ressentiments bis zur massiven Verfolgung und endet im Völkermord. Er beinhaltet Zuschreibungen für Sinti und Roma, die auf Zigeunerbildern aufbauen, die diese Menschen als „fremd", „müßiggängerisch", „musikalisch“ und „frei", „primitiv“, „archaisch“, „kulturlos“ oder „kriminell“, „nomadisch’“ und „modernisierungsresistent“ kennzeichnet. Die Bilder, antiziganistisches Verhalten und antiziganistische Politik begleiteten oder begründeten, zeichneten die Sinti zu Beginn der Neuzeit als „Heiden“ (=Fremde) oder „Auskundschafter“ (=Spione für die Türken) dargestellt, so wurden sie zunächst zu den „Vagabunden“ gezählt, zu den "Nichtsesshaften" Aus den Sinti und Roma wurden die "Zigeuner". Schließlich. nachdem sie ein oder zwei Jahrhunderte in Mitteleuropa gelebt hatten, entstand das Bild der „kriminellen Zigeunern”. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob einzelne Sinti mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Aber die Taten oder die vermeintlichen Taten Einzelner wurden dazu genutzt, um damit diese Minderheit an sich zu kriminalisieren. Nach dem volkstümlichen Motto „Kennt man einen, kennt man alle” wurde die Merkmalsbeschreibung um einen weiteren Aspekt erweitert.
Im Zeitalter einer beginnenden Charakterisierung der Völker und Volksgruppen hatte dies die Wirkung, dass den „Zigeunern” nun neben dem angeblichen Wandertrieb auch die Kriminalität als Charakterzug zugeschrieben wurde. Klischees, die auch im 21. Jahrhundert noch Bestand haben.
Einführende Literatur für Hessen
Ulrich F. Opfermann:«Seye kein Ziegeuner, sondern kayserlicher Cornet.» Berlin 2007
Udo Engbring-Romang: Die Verfolgung der Sinti und Roma in Hessen zwischen 1870 und 1950. Frankfurt 2001
dazu die Reihe:
«Hornhaut auf der Seele» Bände 1-7. Dokumentationen zur Verfolgung der Sinti und Roma in hessischen Gemeinden. Hrsg. v. Adam Strauß, mit Dokumentation zu Wiesbaden, Darmstadt, Fulda, Frankfurt, Marburg, Bad Hersfeld und Hanau. 1995ff.
Udo Engbring-Romang: Antiziganismus. Begriff, Idee, Funktion und Umsetzung. (2006 auf dem Bildungsserver Hessen)
Zeitzeugenberichte zur NS-Verfolgung
Flucht – Internierung – Deportation – Vernichtung. Hessische Sinti und Roma berichten über ihre Verfolgung während des Nationalsozialismus. Bearbeitet von Josef Behringer. Herausgegeben von Adam Strauß. Seeheim 2006 (inkl. CD-ROM mit Ausschnitten aus Interviews)
Weitere Zeitzeugenberichte sind vom Verband Deutscher Sinti und Roma, LV Hessen, auf DVD publiziert: Anna und Michael Böhmer (Interview 2001, Produktion 2009), Dina Franz (Interview 2001, Produktion 2010) Bezugsbedingungen: s. u.
Für Unterrichtszwecke
«Hornhaut auf der Seele» Die Geschichte zur Verfolgung der Sinti und Roma in Hessen. 65 Ausstellungstafeln im Format 70x100 cm. Erhältlich bei Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen, Annastr.44, 64285 Darmstadt. http://www.sinti-roma-hessen.de Hier sind auch die Verleihbedingungen zu erfahren.

Die verweigerte Aufnahme
Sinti und Roma stammen ursprünglich aus Indien. Sie wanderten, wie Sprachwissenschaftler schon im 18. Jahrhundert ermittelt hatten, seit 8. Jahrhundert über Griechenland und den Balkan nach Mittel-, West- und Nordeuropa. Hintergrund war kein – ihnen oft unterstellter – Wandertrieb, sondern sie waren durch Kriege, Verfolgung, Vertreibung oder aus wirtschaftlicher Not dazu gezwungen. Die Migration der Sinti und Roma von Indien bis nach Mitteleuropa dauerte über 500 Jahre. Eine Zwischenstation nahmen Teil der Gruppe offenbar auf dem Peloponnes, in Modon, das als „Klein-Ägypten“ bezeichnet wurde. Von daher leitet sich der Begriff „gipsy“ in der englischen Sprache ab.
Die Anwesenheit von Sinti in Deutschland wurde 1407 erstmals urkundlich erwähnt. Im Urkundenbuch der Stadt Hildesheim wird eine Personengruppe genannt, die gemeinhin als Sinti wahrgenommen wurde. Im hessischen Raum werden sie 1417 in Frankfurt erwähnt.[1] Für eine als massenhaft empfundene Einwanderung war dies der falsche Zeitpunkt, denn die Zeit des 15. und 16. Jahrhunderts war in Europa eine Zeit des Umbruchs. Entdeckungen und Erfindungen, ein neues Menschenbild, wirtschaftliche Veränderungen, Bedrohungsgefühle und der offensichtliche Verfall der Autoritäten Papst und Kaiser waren Umstände, die eine Integration von „Fremden“ in die Gesellschaften beinahe unmöglich machten. Diese Gesellschaft war noch ständisch organisiert; sie bestand aus Bauern, die ihren Boden meist noch nicht verlassen durften, aus Städtern, die ihren Ort nicht verlassen wollten und aus Menschen, die mobil sein mussten und die in der Regel nirgendwo ein Niederlassungsrecht hatten. Zu der letzten Gruppe gehörten auch die meisten Sinti. Als christliche Pilger und Büßer wurden sie zunächst geduldet, zum Teil sogar unterstützt. Ein Schutzbrief des Kaisers Sigismund aus dem Jahre 1423 billigte ihr Umherziehen, gestand ihnen – nicht unüblich im Mittelalter - sogar eine eigene Gerichtsbarkeit zu, bot ihnen aber keinen Platz zur Siedlung.
Die mitteleuropäischen Herrschaften wurden seit dem 15. Jahrhundert durch die Großmachtansprüche des Osmanischen Reiches bedroht. Der Fall des Oströmischen Reiches mit der Eroberung Konstantinopels 1453 durch die „Türken“ – wie es hieß – belegte dies für viele Zeitgenossen. Menschen, die offenkundig aus dem Osten nach Mitteleuropa gelangten, waren damit sehr schnell verdächtigt, die Eroberung durch die Türken vorzubereiten. Hinweise darauf, dass die Sinti vor den Türken eher geflohen waren, wurden nicht einmal wahrgenommen.
Die Sinti und Roma waren in Europa die „neuen Fremden“. Sie unterschieden sich von den Einheimischen im Aussehen, in ihren kulturellen Traditionen und durch die Sprache, durch das Romanes. Sie wurden als „Tartaren“, die im 13. Jahrhundert Teile Mitteleuropas verwüstet hatten, als Ägypter oder als „Heiden“ bezeichnet. Ab dem 14./15. Jahrhundert werden sie auch „Cingari” oder „Volk des Pharaos” genannt, ins Deutsche übertragen „Zigeuner”. Sie selbst bezeichneten sich zwar als Christen, wurden aber nicht als solche meist anerkannt. In der sich seit dem 16. Jahrhundert entwickelnden Gesellschaft, die sich in der Wirtschaft immer stärker über abhängige, fremdbestimmte Erwerbsarbeit, Fleiß und Disziplin definierte, waren Sinti und Roma ausgeschlossen. Als Bedrohung empfunden wurden sie reichsweit sehr 1497 beobachtet, ausgegrenzt und schließlich für "vogelfrei" erklärt.
Absolutismus
Mit dem Mittel der guten „Policey“ sollten schließlich die „Zigeuner" beseitigt oder "ausgerottet werden, das heißt ihre Rotte, ihr Gruppenzusammenhalt, sollte zerstört werden. In Einzelfällen war der Begriff der „Ausrottung“ auch als Eliminierung der Individuen verstanden worden. Die Brandmarkung - Einbrennen eines Zeichens oder Buchstabens auf die Haut - war eine Möglichkeit zur Kennzeichnung der „Zigeuner”. Ein zweites Auftreten als „Zigeuner“ in der Region konnte den Tod bedeuten.
Zur Abschreckung wurden zudem von Gemeinden sogenannte „Zigeunerstöcke” aufgestellt, das waren zum Teil Galgen mit einer Tafel, auf der zu lesen war: Straff für Zigeuner.
Die Aufklärung
Die bedingungslose Anpassung der Minderheit an die Mehrheit wurde von so genannten aufgeklärten, absoluten Herrschern – wie Kaiser Joseph II. – versucht. Sie scheiterte unter anderem bei den Sinti und Roma, weil die Familien auseinandergerissen und ihre Muttersprache verboten wurden.
Das hatte zur Konsequenz, dass die Kommunikation der Minderheit mit der Mehrheitsbevölkerung in der Regel auf ein Minimum reduziert und dass das Zusammengehörigkeitsgefühl der Minderheit wurde gestärkt beziehungsweise notwendig wurde, um als Gruppe überleben zu können.
Die Maßnahmen gegen die Sinti und Roma blieben ohne die erwartete Wirkung, denn die Unterdrückung durch das Militär und die entstehende Polizei war lückenhaft. Die Politik der Zwangsansiedlung scheiterte. Die deutschen Kleinstaaten suchten fortan ihre „zigeuner“feindlichen Bestimmungen zu erweitern und die polizeilichen Kontrollen zu verstärken.
Die Aufklärung oder besser einige Wissenschaftler, die sich der Aufklärung verpflichtet sahen, legten auf Grund dieser Erfahrungen schließlich die Grundlage für den rassistischen Antiziganismus. Die „Experten“ aus der Wissenschaft, selbsternannte „Zigeunerexperten“ begannen pseudowissenschaftlich über die Sinti und Roma zu schreiben. Als Beispiel wird auf Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann (1756 – 1804), Professor in Göttingen, verwiesen. Er gilt im deutschen Sprachraum als der erste wissenschaftliche „Zigeunerforscher“ oder „Zigeunerwissenschaftler“.
s. hierzu sehr ausführlich und quellennah: Ulrich F. Opfermann: „Seye kein Ziegeuner, sondern kayserlicher Cornet.“ Berlin 2007
Dillich nennt in seiner hessischen Chronik das Jahr 1414, die Regierungszeit von Landgraf Ludwig I., als das erste Auftreten von Sinti in Hessen. Dabei übernimmt er rund 200 Jahre später ältere, ebenfalls nichtzeitgenössische Chroniken und deren Zuschreibungen.
Beschreibung der Ankunft der "Zigeuner" in Deutschland und Charakterisierung der Gruppen als "Heiden".
Sebastian Münsters Cosmographie erschien zuerst 1544 in lateinischer Sprache, danach bis 1628 in deutscher Sprache in verschiedenen Auflagen.
Ausschreiben an die Amtsleute von Landgraf Philipp gegen das Zutrinken, die Füllerei, das Fluchen, Schwören und Gotteslästern, 18. Juli 1524
... Auch sollt du in deinem Ampt, kernen Zegeuner odder Heyden zulassen, sondern sie als bald den nechsten auß vnserm landt weyssen, vnd wo sie daryn sevmig fvnden wvrden, sie darvmb zymlich straffen ...
Punkt 8:
Den zegevnern verbieten wir vnser forstenthvmb vnd gebiete gantz vnd gar. Vnd wollenn das sie nyrgen jngelassen glieten oder vffenthalten werden sollen by vermydvng vnser vngnedigen straiffe
§ 5
Heyden oder Zygeuner sind gar nicht zu dulden. Demnach auch hin und wieder in den Landen Leute herumb streichen, so sich Heyden oder Zygeuner nennen, vnd mit Gottlosen ärgerlichen Dingen vmgehen, nemlich mit Zauberey, Warsagerey, Dieberey und allerley betrüglichen Stücken, weßwegen sie auch bey wolbestelten Regimentern im Christenthumb vnd vnter den Rechtgläubigen keines weges zu hegen, sintemal sie auch den Christlichen Glauben nicht verstehen noch demselben zugethan seyn, vnd man weder von ihrer Geburt noch Aufferziehung, Leben oder Wandel, vielweniger von ihrem Ehestande einige gewisse Nachricht haben kan, sie auch offenbarlich vnd vngescheuet ihre böse Stücke, so dem Christenthumb allerdings zuwider seyn, treiben, vnd davon nicht abstehen, weßwegen auch Christliche Obrigkeiten sie nicht zu dulden, sondern wo sie sich angeben, so bald fort vnd hinweg zu weisen hin vnd wieder angeordnet und befohlen haben.
Die ersten vier Paragraphen der Poenal-Sanction von 1722 enthalten Bestimmungen, die sich auf Zigeuner und "Jauner" (Gauner) beziehen.
Es wird bekräftigt, daß unbeschadet der "peinlichen Hals-Gericht-Ordnung Kaysers Carls des Fünfften (. . .) solche Rad- und Galgen-Straffen noch Beschaffenheit der aggravirenden Umbständen, oder Schwere und Frequentz der Verbrechen, mit glüenden Zangen-Zwicken, oder auff andere Art von jedem LandsHerrn in seinem Territorio gar wohl noch weiteres exacerbirt und erhöht werden können.
Paragraph 2 bezeichnet Jauner' und Zigeuner als "criminelle Leuthe" und befahl ihnen, die Länder des Kreises bis zum 1. August desselben Jahres zu verlassen, andernfalls sollten sie,
"sie seyen gleich Männ- oder Weiblichen Geschlechts, der blossen Betrettung halber, und wann auch sonsten weiter keine speciale Missethat auff sie gebracht werden könte, mit dem gut befundenen Brandmahl O. C. auff den Rücken gezeichnet, auch noch Beschaffenheit der Persohnen und Umbständen, entweder zugleich nur leviter ausgestrichen, oder scharff mit Ruthen ausgehauen, so fort noch abgeschworner Urphed aus denen gesambten Ober-Rheinischen-Crayß-Landen, unter der nochdrucksamsten Verwarnung, daß im Wiederergreiffungs-Fall, der Strick ihnen ohnfehlbahr zu Theil werden würde (...) verwiesen werden, sollte es aber geschehen, daß ein solcher gebrandmarckter mithin des Strangs halber verwarneter Jauner oder Ziegeuner (...) wieder apprehendirt und eingebracht würde; gegen den solle alsdann mit vorangedroheter sich selbst zugezogen- und contrahirter Straff des Strangs executive, und zwar eben um deßwegen, daß er sich gegen Verbott und Bedrohung den Crayß das zweyte mahl zu betretten unterfangen, ohnnochläßlich verfahren; gegen diejenige aber, so dabey noch eines besondem delicti oder Übelthat überführet, (...) die Straff des Todes noch weiter exasperirt, und sie noch Beschaffenheit des Verbrechens (...) nach vorhergegangener Zwickung mit glüenden Zangen, geköpfft, oder auch wohl lebendig geradbrecht, und auff das Rad geflochten werden.
Titel des Buches
Johann Benjamin Weissenbruch: Ausführliche Relation von der famosen Ziegeuner-, Diebs-, Mord- und Rauber-Bande, welche den 14. und 15. November Ao. 1726 zu Giessen durch Schwerdt, Strang und Rad, respective justificirt worden,
Worinnen nach praemittirter Historie von dem Ursprung und Sitten derer Ziegeuner ec. ec. die vornehmste und schwereste Begangenschafften mit allen Umständen erzehlet ... ; Mit einigen Kupffern / Aus denen weitläufftigen Peinlichen Original-Actis in möglichster Kürze zusammen gezogen und dem Publico zum Besten in öffentlichen Druck befördert durch D. Johann Benjamin Weissenbruch, Fürstl.-Hessen-Darmstädtis. Vormunds-Raht, auch Ober-Schultheissen und Peinl. Gerichts-Assessoren daselbst. Franckfurt 1727
Das gesamte Buch steht online. http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2006/3543/
Edikt des Landgrafen Friedrich (1676-1751) zur Abwehr von "Räuber- und Ziegeuner-Banden", Bettler und "unnützem Gesinde" vom 26. Mai 1735, in dem
1. auf die verbotene Einfuhr von Salz verwiesen wird,
2. die lokalen Verwalter (Greben, Vorsteher) auf ihre Pflichten hingewiesen werden.
Bezug wird auf Edikte vom 18. November 1719 und 31. Juli 1730 genommen.
Auf der Abbildung fehlt das Siegel.
Verwiesen wird auf die entsprechende Edikte von 1684, 1689, 1698, 1712, 1714, 1719, 1735, 1744 und vom 20. Dezember 1746
Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann (1756 – 1804), Professor in Göttingen.
Grellmann gilt im deutschen Sprachraum als der erste wissenschaftliche „Zigeunerforscher“ oder „Zigeunerwissenschaftler“. Er forderte von den „Zigeunern“ wie manche andere „Zigeunerforscher“ nach ihm Anpassung an die „zivilisierte Volksmenge" mithilfe einer pädagogischen „Umschaffung", eine Disziplinierung über die Erziehung, gemeint war unter anderem die Sesshaftmachung. Dieses Ziel stand im klaren Widerspruch zu den Edikten und den Ausgrenzungsmechanismen, aber mit der „Umschaffung“ sollte das Ziel Assimilierung erreicht werden. Grellmanns Begründung des Projekts der „Zigeuner-Assimilation” stellte vor allem den ökonomischen Nutzen und das daraus resultierende staatliche Interesse an der geplanten Umerziehung in den Vordergrund.
Das Projekt, das zum Teil unter Maria Theresia und Joseph II. umgesetzt wurde, scheiterte. Das Projektziel Assimilation wurde aber nicht infrage gestellt, sondern die „Zigeuner“ wurden zu einem Volk von kulturloser Primitivität erklärt. Die von Heinrich Grellmann mitbegründete Zigeunerwissenschaft glaubte, im Verhalten der "Zigeuner" Anzeichen gesellschaftsgefährdender Verwahrlosung zu erkennen, und erklärte diese schließlich zu „sittlichen Ungeheuern". Die Bezeichnungen, die Grellmann benutzte und die dann endgültig Eingang in das enzyklopädische Wissen über „Zigeuner“, sprich Sinti und Roma, fanden, sind bösartig-diskriminierend. Das Denken von Grellmann war biologistisch, weil das unterstellte Verhalten nicht als individuelles Verhalten bewertet sondern per se zu einem Kulturgut für eine gesamte Gruppe erklärt wurde. Eine Grundlage für den Rassismus war damit gelegt. Im Originalton Grellmanns heißt es zum Beispiel: Oft schien ein Knabe […] auf dem besten Wege zur Menschwerdung zu seyn, und plötzlich brach die rohe Natur wieder hervor, er gerieth in den Rückfall und wurde mit Haut und Haar wieder Zigeuner. (S. 11)
Vor Grellmann waren schon Richter, Staatsanwälte und auch Philosophen aktiv bei der Suche nach dem „Wesen der Zigeuner“. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen wurden veröffentlicht, gelesen und nicht zuletzt in Lexika zusammengefasst, so dass jeder wusste, was ein „Zigeuner“ ist, welche Eigenschaften er hat, ohne jemals Kontakt zu Sinti und Roma gehabt zu haben.

Der Nationalstaat als Polizeistaat
Die „Zigeuner”, die nur im späten Mittelalter Sonderrechte als Gruppe gehabt hatten, erhielten im Zuge der Emanzipationsbewegung des 18. und 19. Jahrhundert als Individuen bürgerliche Rechte. Damit waren zunächst die „Zigeuner” als reale oder als imaginierte Gruppe für die meisten Obrigkeiten kein Thema mehr. Die Zahl der Zigeuneredikte nahm deshalb in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ab.
Aufkommen des Nationalismus und seine Folgen
Erst mit dem Reichsbürgergesetz aus dem Jahre 1913 setzte sich das ius sanguinis durch. Für Sinti und Roma galt grundsätzlich zunächst der Geburtsort als Heimatort, oder Sinti und Roma, die in deutschen Ländern geboren waren, hatten die Staatsangehörigkeit des deutschen Landes. Mit der stärkeren Verbreitung des Herkunftsprinzips ("Blutsprinzip") waren Juden, Polen und Sinti und Roma bedroht, ihre deutsche Staatsangehörigkeit zu verlieren, wenn sie ihren Geburtsort in Deutschland nicht nachweisen konnten.
Um aber die Zahl der sogenannten „Zigeuner” verkleinern zu können, begannen die Behörden sehr früh mit der Unterscheidung zwischen inländischen und ausländischen „Zigeunern“. „Inländische Zigeuner” wurden innerhalb Deutschlands in ihr jeweiliges Heimatland verschoben, von Preußen nach Hessen, von Württemberg nach Bayern und so weiter, „ausländische Zigeuner” sollten nicht ins Land gelassen werden oder ins Ausland wieder abgeschoben werden. Gegen die eingewanderten Roma wurden überall Rundschreiben formuliert, keine Gesetze, so dass diese Frage als Verwaltungsangelegenheit gesehen wurde.
Ausgrenzung durch Polizeiverordnungen zur Vertreibung der Sinti und Roma
Im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit wurden „Fremde“, so auch die Sinti und Roma, nicht zu den meisten Handwerken zugelassen. Die Zünfte und Innungen verhinderten ihnen den Zugang. Nach Auflösung der Zünfte im 18. Jahrhundert und nach Einführung der Gewerbefreiheit nutzten Sinti und Roma im Verlaufe des 19. Jahrhunderts zum Teil - auch aus der Not geboren - gesellschaftliche und ökonomische Nischen, um als Pferdehändler, Händler ganz allgemein, Handwerker, Zirkusleute und Schausteller, als Musiker, auch als Geigenbauer, um nur einige Berufszweige zu nennen, zu arbeiten. Viele dieser Gewerbe wurden hauptsächlich ambulant betrieben, und zwar vom Frühjahr bis zum Herbst. In den Wintermonaten wurden in der Regel entweder feste Stellplätze für Wohnwagen aufgesucht oder die Sinti und Roma wohnten in gemieteten oder gekauften Häusern. Neben den ehemals traditionellen Berufen sind vermehrt auch Sinti und Roma in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen, zum Beispiel als Fabrikarbeiter, nachweisbar.
- Nichtdeutsche Sinti und Roma durften dem ambulanten Handel nicht nachgehen, und gegen die deutschen Sinti und Roma wurden verschiedene polizeiliche Maßnahmen eingeleitet, die als Schikanen anzusehen sind.
- Das Reisen und Rasten „in Horden" ( Gruppe mit mehr als zwei nichtverwandten Personen) war ihnen untersagt.
- Die Erteilung eines Wandergewerbescheines wurde vielfach mit schikanösen Auflagen verbunden.
In Bayern wurde 1899 ein Zigeunernachrichtendienst eingerichtet. Dies hatte Vorbildfunktion in anderen Ländern des Reiches. - Die Erfassung der Sinti und Roma durch die Münchener Nachrichtenstelle war für die weitere Verfolgungsgeschichte wesentlich.
Wenige Monate nach der Veröffentlichung des sogenannten „Zigeunerbuches” der Münchener Kriminalpolizei mit einer Auflistung von etwa 3500 "Zigeunern", zum Teil mit Bild, erließ der Minister des Innern des Staates Preußen und spätere Reichskanzler Th. v. Bethmann-Hollweg am 17. Februar 1906 die „Anweisung zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“, in der Regelungen für eine flächendeckende Erfassung von Sinti und Roma formuliert wurden. (Dokument 16).
Auf kommunaler Ebene wurden entsprechende Polizeiverordnungen veröffentlicht, die die Sinti und Roma nachhaltig diskriminierten. Ein Hauptaugenmerk wurde auch hier auf das sogenannte "Reisen in Horden" gelegt. Dem Ermessen der Gendarmen oblag es, zwei oder drei Einzelreisende, die nicht nahe verwandt waren, als „Horde” anzusehen. Aus jeder Gruppe von Sinti und Roma oder jeder größeren Familie, die im ambulanten Gewerbe tätig war, wurde sehr schnell eine „Zigeunerbande”, womit diesen von vornherein kriminelle Absichten unterstellt wurde. Nachgeordnete Behörden, vor allem die Bürgermeistereien, wurden immer wieder darauf hingewiesen, gerade diese Bestimmungen des Reisens in Horden zu kontrollieren. Ein Ziel dieser Gesetze und Verordnungen war es, den ambulanten Handel einzuschränken, wozu es wiederum der Überwachung - noch mehr Polizei - bedurfte.
Von den Polizei- und Ordnungsbehörden wurde diese Anweisung bis 1936, zum Teil bis 1938, immer wieder herangezogen, um „Zigeuner” bzw. Sinti und Roma zu verfolgen.
Schreiben der Königlichen Regierung in Kassel an die Landräte, Amtmänner und den Polizeipräsidenten von Kassel zur Gefährdung der Ordnung und Sicherheit durch "Zigeuner", 25. April 1879.
Die Bestimmungen der Zirkularverfügung vom 3. November 1870 und des Erlasses des Innenministeriums vom 22. Oktob er 1870 sollen genauestens beachtet werden. Ausländische Sinti und Roma sollen aus dem Königreich Preußen ausgewiesen werden.
Die Verfügung des Marburger Landrats zur Abschiebung von Sinti und Roma, 24. März 1884, erneuert die ausführliche Verfügung des Marburger Landrats vom 21. April 1881.
Abdruck im Amtlichen Anzeiger für die Kreise Marburg und Kirchhain als Beilage von OBERHESSISCHE ZEITUNG Nr. 26, 1. April 1884
Beilage zur Oberhessischen Zeitung. Kreisblatt für die Kreise Marburg und Kirchhain Nr. 72 vom 3. Dezember 1889 mit einem Reskript des Ministers der geistliche, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten und des Ministers des Innern zur Beachtung der Schulpflicht für Sinti- und Roma-Kinder.
Anlage zur Rundverfügung des Regierungspräsidenten von Kassel mit dem Titel "Grundsätze, welche bei Gesuchen von Zigeunern um Ausstellung von Wnadergewerbescheine zu berücksichtigen sind".
Die Verfügung A II 10735 vom 26. Oktober 1900 moniert, dass "bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Ertheilung von Wandergewerbescheinen von den Ortspolizeibehörden vielfalch nicht mit der erforderlichen Sorgfalt verfahren, so daß wiederholt Zigeunern, denen der Wandergwerbeschein hätte versagt werden müssen, ein solche infolge fehlerhafter Vorbereitung des Antrages vertheilt worden ist."
"Ausländische Zigeuner" dürften grundsätzlich keinen Wandergewerbeschein erhalten.
Die Verfügung samt Anlage wurde am 5. November an die Landräte und Polizeidirektoren in Kassel, in Hanau und in Fulda weitergeleitet.
Ausweisung aus Preußen für den Sinto Karl Breitenbach und seine Familie, 1905
Ausweisungsbefehl
Der angebliche Steinschläger, Zigeuner Karl Breitensbach, geboren am 1. April 1857 zu Merseiles b[ei] Lyon(Frankreich),
Schreiben des Regierungspräsidenten in Kassel an die Landräte des Bezirks mit Ausnahme Kassels zur Beachtung älterer Verfügungen zur Abschiebung "ausländischer Zigeuner", 27. November 1905
Bezug wird auf die Rundverfügungen vom 11. Mai 1886 und vom 7. April 1905 genommen. Die Gendarmen soll aufgefordert werden, die Bestimmungen zu beachten, gegebenenfalls Meldung zu machen und zum 1. Januar 1906 Berichte zu schreiben.
Die Ministerialanweisung des preußischen Innenministeriums vom Februar 1906 wiederholte und fasste die bis zu diesem Zeitpunkt erlassenen Vorschriften gegen Sinti und Roma noch einmal - nicht zuletzt auch für Polizeibeamte - zusammen.
Von größerer Bedeutung ist diese Anweisung deshalb, weil sie auch in anderen deutschen Bundesstaaten wie in Sachsen und in Anhalt wörtlich übernommen wurde.
Für Polizeibeamte gab es diese kartonierte Taschenausgabe.
Abschrift von Teilen der "Verfügung zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens vom 17. Februar 1906" für die Ortspolizeiverwaltung, o.D.
Bezug ist die Ministerialanweisung zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens vom 17. Februar 1906" des Preußischen Innenministers von Bethmann-Hollweg, die die Sinti und Roma überwachen sollte.
Verzeichnis des Landrats von Marburg zur Überwachung und Erfassung von Sinti und Roma, 3. April 1911. Das Verzeichnis führt "inländische Zigeuner" auf und notiert unter "besondere Bemerkungen, insbesondere Versagungsgründe":
"zieht mit andren Zigeunern umher, unter Benutzung eines Fuhrwerks (Festgestellt den 2.4.11 in Elnhausen""

Die bürgerlich-demokratische Grundordnung der Weimarer Republik brachte keine rechtliche Verbesserung für die Sinti und Roma als Gruppe. Sinti und Roma blieben grundsätzlich als Gruppe und auch vielfach als Individuen diskriminiert, denn die Gesetze und Anordnungen aus der Zeit des Kaiserreichs gegen sie blieben in Kraft. Gleichzeitig wurde die Ausgrenzungs-, Diskriminierungs- und Erfassungspolitik von den Behörden immer weiter perfektioniert. Die "Zigeunerpolitik" war aber nicht widerspruchsfrei und nicht immer einheitlich repressiv, denn Politiker wurden immer wieder durch einen Teil der Öffentlichkeit oder durch Gerichte auf die Verfassungsordnung hingewiesen.
Eine Maßnahme, die gewünschte Politik umzusetzen, war die Erfassung der "Zigeuner", bei der das Land Bayern eine gewisse Vorreiterrolle zukam. Mit den damals neuesten Methoden der wissenschaftlichen Kriminalistik, Fotographie und Daktylographie, wurden nicht Schwerverbrecher oder Hochverräter erfasst, sondern eine Gruppe von Menschen, die weiterhin per se betrachtet - unabhängig von ihrem individuellen Alter - als potentiell kriminell betrachtet. Die auf diese Weise erstellten Materialien konnten später von den Nationalsozialisten übernommen werden.
Auch Preußen, damit der Regierungsbezirk Kassel, aber auch der Volksstaat Hessen verfügten 1927 die Durchführung des „Fingerabdruckverfahrens von Zigeunern”. (DOK) Allein in Preußen wurden rund 17.000 Bögen zur Fingerabdrucknahme verteilt und rund 8.000 Fingerabdrücke abgenommen. Bis zum Jahre 1928 waren schon rund 14.000 „Zigeuner” mit Lebensdaten, Lichtbildern und Fingerabdrücken erkennungsdienstlich - ohne Rechtsgrundlage – zentral erfasst.
Nicht nur auf Länderebene wurde eine antiziganistische Politik verfochten, sondern auch einzelne Kommunen erhoben Ende der 20er Jahre entsprechende Forderungen:
- Einschränkung der Gewerbefreiheit,
- Verbot des ambulanten Gewerbes ausschließlich für Sinti und Roma,
- Vereinheitlichung der „Zigeunerpolitik”.
Kommunalspitzenverbände versuchten über Umfragen 1929 und 1930 ein Bedrohungsszenario zu schaffen, um Sinti und Roma entweder vertreiben oder auch internieren zu können.
Verfügung des Landrats in Frankenberg an die Polizeiverwaltungen, hier in Frankenau, zur Überwachung der Sinti und Roma, 18. Dezember 1919
Der Landrat fordert auf, das "Zigeunerunwesen scharf zu bekämpfen" und die Sinti und Roma hinsichtlich ihrer Papiere und ihrer Tätigkeiten zu überprüfen.
Schreiben des Regierungspräsidenten in Kassel an die Polizeipräsidenten und Landräte, hier an den Landrat in Hofgeismar, mit der Aufforderung zur Beachtung der Erlasse gegen die "Zigeuner", 22. Dezember 1925. Die Landräte sollen die Ortpolizeibehörden entsprechend anweisen.Zigeun
Verwiesen wird hier auf die "Anweisung zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens vom 17. Februar 1906" des preußischen Innenministers.
Die Umsetzung der Erlasses des preußischen Innenministerium zur Fingerabdrucknahme von "Zigeunern" veranlasste den Landrat von Hersfeld zur Anforderung von 2000 Vordrucken vom Landeskriminalpolizeiamt in Berlin.
Liste mit 13 Personen, von denen im Rahmen der Aktion zur Erfassung von Sinti und Roma am 28. November 1927 in Frankenberg, Fingerabdrücke genommen waren. Erstellt am 30. November wurde die Liste am 2. Dezember 1927 an den Bürgermeister gesandt.
Rechtsgrundlage war ein Erlass des Preußischen Innenministeriums vom 3. November 1927 (MinBl. 1927, S. 1045-1049)
Schreiben des Landrats in Hofgeismar an die Ortspolizeibehörden, hier Helmarshausen, zur strengeren Beachtung der Anordnungen gegen Sinti und Roma, 14. Dezember 1927.
Neben der Überwachung wird vor allem eine verbesserte Kommunikation zwischen den Polizisten gefordert.
Bericht des Landjägermeisters aus Nordeck und Londorf an den Landrat in Marburg über die Fingerabdrucknahme bei "Zigeunern" in Nordeck, Dreihausen, Niederwalgern und Fronhausen, 18. Januar 1928.
"Im allgemeinen durch scharfe Überwachung keine Zigeunerplage."
Bericht des Landjägermeisters Horchler aus Cölbe an den Landrat in Marburg über die Wahrnehmungen bei der Fingerabdrucknahme bei "Zigeunern", 13. Januar 1928
"Die bisher im Amt angetroffenen Zigeuner (15-20) waren sämtlich mit den vorgeschriebenen Bescheinigungen versehen."
Bericht des Landjägermeisters Opitz aus Wetter an den Landrat in Marburg über die Wahrnehmungen bei der Fingerabdrucknahme bei "Zigeunern", 8. Januar 1928
Betont wird die Beobachtung der falsch ausgestellten Pässe und Wandergewerbescheine, aber auch, dass kein Grund zum Eingreifen vorlag.
Runderlass des Preußischen Ministers des Innern mit der Aufforderung an die nachgeordneten Behörden, die älteren Erlass zu beachten, 27. September 1929, abgedruckt im Ministerialblatt für die Preußische Innere Verwaltung vom 2. Oktober 1929.
Bezug genommen wird auf die Reichsgewerbeordnung und auf den Ministerialerlass vom 17. Februar 1906
Der Regierungspräsident äußert dabei seine Bedenken, das "Verbot des Zusammenreisen von Zigeunern" aufzuheben.
Antworten verschiedener Behörden auf die Verfügung des Regierungspräsidenten in Kassel, die Polizeiverordnung betr. Verbot des Zusammenreisens vom 17. März 1912, aufzuheben, vom 17. Juli 1930, verschiedene Daten im Juli 1930.
Einige sprechen sich für eine Abschaffung aus, andere bestehen auf der Beibehaltung.

Nach der Machtübertragung auf die Nationalsozialisten im Januar 1933 strebte die NS-Regierung an, ihr Ideal einer rassistisch begründeten Volksgemeinschaft zu verwirklichen. Aus den Juden und auch aus den Sinti un Roma machte die NS-Propaganda „Fremde“ oder „Untermenschen”, die es zu vertreiben, zu verjagen, letztlich zu vernichten galt.Anderes als gegen die Juden konnten die Nationalsozialisten gegenüber den Sinti und Roma zum Teil an die Gesetzgebung des Kaiserreichs und der Weimarer Republik und vor allem an die polizeiliche Praxis anknüpfen und übernehmen
Die Nürnberger Gesetze
Es entsprach der nationalsozialistischen Rassenpolitik, dass auch Sinti und Roma 1936 gemäß der Bestimmungen der sogenannten „Nürnberger Gesetze als "Artfremde" aus der deutschen Volksgemeinschaft ausgeschlossen wurden. In einem der maßgeblichen Kommentare zu den Gesetzen hieß es dann: „Artfremden Blutes sind in Europa regelmäßig nur Juden und Zigeuner.“ Damit war den Sinti und Roma wie den Juden durch das sogenannte Reichbürgergesetz unter anderem auch das Wahlrecht entzogen. Gleichzeitig mit der Degradierung der Sinti und Roma zu Bürgern zweiter Klasse wurden Ehen zwischen Mitgliedern der Minderheits- und Mehrheitsbevölkerung durch das Blutschutzgesetz verboten. Die Standesbeamten wurden angewiesen, Ehen zu unterbinden, wenn sie erfuhren, dass einer der zukünftigen Ehepartner nicht „reinblütiger Deutscher” war. Wenn ein Standesbeamter nur den Verdacht hegte, dass einer der Partner „zigeunerischer” Herkunft war, konnte er die Eheschließung verzögern. Dies war schon möglich, bevor die Sinti und Roma als Gruppe von den Rassenforschern erfasst und registriert waren. Das Mittel der Überprüfung war die Herbeibringung von Ehetauglichkeitszeugnissen, mit deren Hilfe dann die Ehebefähigung festgestellt oder im Einzelfall bestritten wurde. Als Ablehnungsgrund wurde seite 1935/36 die „nichtarische” Abstammung genannt.
Hetze in der Presse
Parallel zur kontinuierlichen Verschärfung der „Zigeuner”-politik wurden in der weitgehend zentral gelenkten Presse Artikel veröffentlicht, die erstens die „Kriminalität“ der Sinti und Roma beweisen sollten. Sie bedienten meistens traditionelle antiziganistische Ressentiments. Besonders im ersten Halbjahr 1936 lassen sich eine Reihe von Berichten über angebliche Straftaten von „Zigeunern” oder über Verbrechen, die einzelne begangen hatten oder derer sie nur beschuldigt wurden, nachweisen. Zum zweiten hatte die Artikel die Funktion, auf die „Fremdrassigkeit“ der Sinti und Roma hinzuweisen. Die Wahrheit spielte keine Rolle. Sinti und Roma sollten entsprechend der Bilder dargestellt werden. Richtigstellungen, die in der Weimarer Republik noch möglich gewesen wären, wurden jetzt untersagt.
Zentralisierung der Polizei
Die Zentralisierung der Polizei unter der Führung der SS im Reichsinnenministerium betraf auch die Sinti und Roma. Die gesetzliche Grundlage für zentralstaatliches Handeln gegen die Sinti und Roma, ein „Reichszigeunergesetz”, wurde allerdings nicht formuliert, obwohl schon im März 1936 der Oberregierungsrat Karl Zindel im Reichsinnenministerium „Gedanken über den Aufbau des Reichszigeunergesetzes” formuliert hatte. Der Vorschlag beinhaltete, die restlose Erfassung, die Identifizierung jedes erfassten Zigeuners und die Anlage laufender Personalakten, um diese Personengruppe, der ein „Wandertrieb” unterstellt wurde, lückenlos überwachen, gegebenenfalls abschieben zu können. Diese Gedankengänge waren zwar durch und durch rassistisch; sie lieferten das Instrumentarium zur späteren vollständigen Erfassung, die die Grundlage für die Deportationen war.
Durch verschiedene Erlasse im Juni 1936 wurden nachstehende Behörden auf die Vereinheitlichung der Zigeunerpolitik hingewiesen (Dokument Nr.3 )
Durch den Erlass vom 17. Juni 1936 (DOK) wurde Heinrich Himmler, Reichsführer der SS, zum Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern ernannt. Mit Himmler stand nun ein Vertreter der rassistischen Ordnungspolitik und Bevölkerungspolitik an der Spitze aller Polizeiorganisationen. Der Übergang zu einer ausschließlich rassenpolitisch geprägten „Zigeunerpolitik” war damit vollzogen, der auf einer Beseitigung des „Lebens nach Zigeunerart”, das heißt auf die Ausschaltung eines als fremd angesehenen Verhaltens, und der Beseitigung der „Zigeuner”, der Sinti und Roma, hinauslief.
Zunächst hatten die Sinti und Roma 1937 und 1938 verschiedene, zum Teil noch unkoordinierte Aktionen von Polizei, Gestapo und Verwaltungsbehörden zu erleiden.
Die Aktion „ASR“
Hinter dem Kürzel „ASR“ verbarg sich die NS-Polizeiaktion „Arbeitsscheu Reich” bzw. „Arbeitszwang Reich”. Offiziell richteten sich die Fahndungen gegen sogenannte „Arbeitsscheue” im Sinne der nationalsozialistischen Ordnung. Das waren sowohl Menschen, die sich zum Beispiel weigerten in bestimmten Betrieben zu arbeiten als auch diejenigen, die zum Beispiel freiberuflich als Musiker, Korbmacher oder Händler tätig waren und bleiben wollten. In diese Verfolgungsaktion waren auch Sinti und Roma reichsweit einbezogen.
Die deutsche Kriminalpolizei ging in der Woche vom 13. bis zum 18. Juni 1938 gegen diese sogenannten „Asozialen” im Rahmen der „Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ vor, wie es in der offiziellen Begründung hieß. Hierbei wurden mehrere Ziele der NS-Politik miteinander verknüpft: wie die Lösung des Problems des Arbeitskräftemangels, Verschärfung der Strategie gegen die sogenannten „Artfremden”, die Einschüchterung der Mehrheitsbevölkerung und die Befriedigung des Law- and Order-Gedankens.
Diese Aktion, die sich auch gegen Sinti und Roma richtete, war zwar eine durchaus rassistisch begründete Polizeiaktion, stand aber auch von ihrem Selbstverständnis noch in der Tradition der alten polizeilichen Praxis gegen Menschen, die man als „Zigeuner” betrachtete. Sie markiert einen weiteren Schritt in der Übergangsphase zur rein rassistischen Erfassungs-, Vertreibungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten nach 1938. Über 10.000 Männer, darunter eine nicht bekannte Zahl von Sinti und Roma, wurden festgenommen und in die Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald und Dachau verbracht. Manche verbleiben dort bis zur Befreiung 1945 – andere überlebten die Lagerhaft nicht.
Im Regierungspräsidium Kassel sollten 200 Personen festgenommen werden, und diese Vorgabe wurde von den entsprechenden lokalen Polizeibehörden auch erfüllt, wie die Listen zeigen. (DOK)
Der „Westabschub“
Parallel zu den Verfolgungsaktionen versuchten sich auch einzelne NS-Politiker durch Maßnahmen gegen Sinti und Roma zu profilieren. Der Regierungspräsident von Wiesbaden als Reichkommissar für die Westprovinzen veranlasste am 21. Juli 1938 die Abschiebung aller Sinti und Roma aus den Gebieten westlich des Rheins. Als Vorwand diente der alte Vorwurf der Spionage. Das Abschiebeziel war der „Osten“, das hieß auch der hessische Raum, Thüringen oder Berlin. Mit Lastwagen wurden einige Hunderte Sinti und Roma von Ort zu Ort verbracht, zunächst in Richtung Osten, dann von Berlin und Thüringen wieder zurück. Etwa 150 Sinti und Roma aus den westlichen Regionen Deutschlands mussten im Hersfelder Raum, in Fulda, aber auch in Frankfurt bleiben Dies war der Übergang von den sogenannten „Einzellösungen“ zu den zentral organisierten Deportationen, dessen einzelne Maßnahmen für Frankenberg nachvollziehen lassen. (DOK)
Lit.
Peter Sandner: Frankfurt. Auschwitz. Frankfurt 1998
Meldung der Kirchhainer Zeitung vom 14. April 1935 über einen angeblichen Diebstahl von "Zigeunern" in Erfurtshausen
Schreiben des Polizeipostens in Roßdorf an den Landrat, 28. April 1935
Der vorliegende Bericht entspricht nicht vollständig den Tatsachen.
Verfügung des Regierungspräsidenten in Kassel an die Landräte mit einer Korrektur zur Verfügung vom 22. Mai 1936 im Rahmen der "Bekämpfung des Zigeunerunwesens", 30. Mai 1936.
Die Landräte werden aufgefordert, Ortspolizeibehörden anzuweisen, die Meldestimmungen genauestens zu beachten.
Auszug aus dem NACHRICHTENBLATT der Landeskriminalpolizeistelle Kassel Nr 31, 1936, mit dem Hinweis auf die Errichtung einer "Internationalen Zentralstelle zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens", 30. Juli 1936 (für den Dienstgebrauch)
Bezug wird auf den Runderlass des Reichs- und Preuß. Ministers des Innern vom 5. Juni 1936 genommen. Nachdrücklich wird auf die Beachtung der Mitteilungen hingewiesen.
Bezug wird auf den Runderlass vom 20. September 1938 genommen.
Mit der Aktion "Arbeits Scheu Reich" sollte u. a. dem drohenden Arbeitskräftemangel in der deutschen Wirtschaft entgegengetreten werden. "die straffe Durchführung des Vierjahresplanes erfordert den Einsatz aller arbeitsfähigen Kräfte und läßt es nicht zu, daß asoziale Menschen sich der Arbeit entziehen und somit den Vierjahresplan sabotieren." Festgenommen werden sollten mindestens 200 männliche arbeitsfähige Personen".
Deshalb begann am 13. Juni 1938 eine Polizeiaktion gegen diejenigen, die nicht den nationalsozialistischen Arbeits- und Sozialnormen entsprachen. Gleichzeitig war dies eine Aktion zur Einschüchterung wegen realen oder zugeschriebenes abweichendes Verhalten. Betroffen waren Obdachlose, Sinti und Roma ohne feste Anstellung (Zigeuner und Zigeunerart umherziehende Personen, wenn sie keinen Willen zur geregelten Arbeit gezeigt haben oder straffällig geworden sind") oder Juden mit selbst geringsten Vorstrafen.
Abgeschlossen werden sollte die Aktion am 18. Juni 1938.
"Die Festgenommenen sind sofort dem Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar ohne Bestätigung zu überführen."
Der Schnellbrief knüpfte an den Erlass des Reichs- und preuß. Ministers des Innern vom 14. Dezember 1937 zur "Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" an.
Bl. 546rs:
Vermerk an den Polizeipräsidenten von Kassel, 8. Juni 1938, mit der Ersuch um Berichterstattung über den Erfolg der Aktin
Abschrift eines streng vertraulichen Schnellbriefes des Reichskriminalpolizeiamtes Berlin an die Kriminalpolizeileitstellen , hier Kriminalpolizeistelle Frankfurt" zur "Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung durch die Polizei", 1. Juni 1938
Mit der Aktion "Arbeits Scheu Reich" sollte u. a. dem drohenden Arbeitskräftemangel in der deutschen Wirtschaft entgegengetreten werden. "die straffe Durchführung des Vierjahresplanes erfordert den Einsatz aller arbeitsfähigen Kräfte und läßt es nicht zu, daß asoziale Menschen sich der Arbeit entziehen und somit den Vierjahresplan sabotieren." Festgenommen werden sollten mindestens 200 männliche arbeitsfähige Personen".
Deshalb begann am 13. Juni 1938 eine Polizeiaktion gegen diejenigen, die nicht den nationalsozialistischen Arbeits- und Sozialnormen entsprachen. Gleichzeitig war dies eine Aktion zur Einschüchterung wegen realen oder zugeschriebenes abweichendes Verhalten. Betroffen waren Obdachlose, Sinti und Roma ohne feste Anstellung (Zigeuner und Zigeunerart umherziehende Personen, wenn sie keinen Willen zur geregelten Arbeit gezeigt haben oder straffällig geworden sind") oder Juden mit selbst geringsten Vorstrafen.
Abgeschlossen werden sollte die Aktion am 18. Juni 1938.
"Die Festgenommenen sind sofort dem Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar ohne Bestätigung zu überführen."
Der Schnellbrief knüpfte an den Erlass des Reichs- und preuß. Ministers des Innern vom 14. Dezember 1937 zur "Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" an.
Auflistung der Kriminalpolizeistelle Kassel zu den Festnahmen im Rahmen der Aktion des Reichskriminalpolizeiamtes Berlin, 21. Juni 1938 mit dem Bezug der Verfügung (Schnellbrief) vom 1. Juni 1938
Die Liste mit den Namen von 180 Männern unterscheidet zwischen "Asozialen" und "Juden". Unter den Festgenommenen sind nachweislich einige Sinti, die wie die anderen anschließend in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht wurden.
Ankündigung einer Razzia gegen Sinti und Roma, die vom Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau in Kassel veranlasst wurde.
Das Schreiben trägt den Vermerk: "Zur Gend[armerie]dienstvers[amm]l[un]g am 14. 7. Bericht bis 8.8."

Arbeitsleben
Eine Arbeitspflicht bestand im Dritten Reich für alle Menschen, nicht allerdings eine freie Berufswahl oder Berufsausübung. Die von nicht wenigen Sinti und Roma lange Zeit genutzte Möglichkeit des ambulanten Handels und Handwerkes wurde zwar von den Nationalsozialisten nicht vollständig verboten, aber auf immer weniger Personen beschränkt, unter anderem aus dem Grunde, dass die nationalsozialistischen Machthaber den ambulant Berufstätigen subversive Tätigkeiten unterstellten. Juden wie Sinti und Roma wurden bestimmte Tätigkeitsmöglichkeiten nach und nach untersagt, so dass die Betroffenen, die sich nicht den Arbeitsämtern zur Verfügung stellten, Gefahr liefen als „Arbeitsscheue“, „Asoziale“ oder „Arbeitsverweigerer“ verfolgt zu werden.
Ab 1939 erhielten Sinti und Roma ein eigenes „Zigeuner“-Arbeitsbuch, ab 1941 mussten Sinti und Roma Arbeitsverpflichtungen unterschreiben. 1942 wurde auf gesetzgeberischem Wege die arbeits- und sozialrechtliche Stellung von Sinti und Roma wesentlich verschlechtert. Sie sollten keine Zulagen bei Schwerstarbeit erhalten, eine „Sozialausgleichabgabe“ zahlen und zudem wurde noch eine Sondersteuer in Höhe von 15 Prozent erhoben.
Schule
Sinti- und Romakinder wurden seit den späten1930er Jahre immer wieder im Schulunterricht oder in Schule ausgegrenzt. Aber erst 1941 konnten Sinti- und Romakinder reichsweit vom Schulbesuch ausgeschlossen werden, wenn sie - wie es in der entsprechenden Verfügung hieß - durch ihr Erscheinen im Unterricht andere Kinder störten. (DOK) Bezug genommen wurden dabei auf einen Erlass, der seit 1938 im österreichischen Teil des Großdeutschen Reiches gegen Sinti und Roma angewandt werden konnte. Was konkret „Störung” hieß, blieb nach Erlasslage unklar und wurde auch nicht weiter präzisiert. Es wurde ein weiterer Ausschlussgrund genannt: wenn die Sinti- und Romakinder eine Gefahr für die anderen Schüler bildeten, konnte auch in diesem Fall ein Ausschluss erfolgen. Eine Präzisierung der „Gefahr” war allerdings nicht im Erlass zu finden, es sei denn man interpretiert den Hinweis auf sittliche Beziehung als eine solche mit Bezug auf das Blutschutzgesetz von 1935.
Mit anderen Worten: die Sinti- und Romakinder mit deutscher Staatsangehörigkeit, die aber offiziell einer sogenannten „Fremdrasse” angehörten, waren gemäß der zitierten Verfügung zwar nicht zwangsläufig vom Schulunterricht ausgeschlossen, aber es wurde den Schulleitern die Möglichkeit eröffnet, dies zu tun. Es lag also im Ermessen der jeweiligen Schulen, der Lehrer und der Eltern der Nichtsintikinder, ob die sogenannte „Zigeuner”-Kinder vom Schulbesuch ausgeschlossen wurden. In den Gemeinden des Regierungsbezirks Kassel wurden die Bestimmungen unterschiedlich ausgelegt.
Militärdienst
Seit November 1937 sollten gemäß eines vertraulichen Erlasses des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern „vollblütige Zigeuner” und Personen mit „besonders auffälligem Einschlag von Zigeunerblut” vom aktiven Wehrdienst ausgeschlossen werden. Sinti und Roma hatten schon im Kaiserreich und während des Ersten Weltkrieges in der Armee gedient. Deshalb wurden zu Kriegsbeginn im September 1939 die wehrpflichtigen deutschen Sinti und Roma zum Kriegsdienst einberufen, oder sie meldeten sich freiwillig, um für "ihr" Land zu kämpfen.
Grundlegend änderte sich die Lage für die Sinti und Roma ab dem 14. August 1940. Im Reichssicherheitshauptamt wurde ein Runderlass formuliert, in dem es hieß, dass der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, beabsichtige, die weiblichen Zigeuner und Zigeunermischlinge grundsätzlich vom Arbeitsdienst auszuschließen. Der Ausschluss der sogenannten „fremdrassischen” Personen aus der Wehrmacht hatte schon im April 1940 früher begonnen. Im Oktober 1940 erging ein entsprechender Erlass, dass aus bestimmten Dienststellen Sinti und Roma entfernt werden sollten. Konkreter Anlass war die Auszeichnung eines Sinto mit dem EK I, dem Eisernen Kreuz, I. Klasse, gewesen. Auf den Fall war der Reichsamtsleiter des Reichspropagandaministeriums aus der Stadt Berleburg aufmerksam gemacht worden. Allein aus dieser kleinen südwestfälischen Stadt waren 26 Sinti zur Wehrmacht eingezogen worden. Vom Reichspropagandaministerium wurde die Angelegenheit an den Verantwortlichen für Rassenfragen beim Führer herangetragen. Da es aus der Sicht der Nationalsozialisten nicht sein konnte, dass ein „Fremdrassiger” höchste militärische Auszeichnung bekam, wurde zwischen Hitlers Stab und dem Oberkommando der Wehrmacht die Übereinkunft getroffen, dass „Zigeuner und Zigeunermischlinge“ wie „jüdische Mischlinge I. Grades“ der Ersatzreserve II zuzuweisen seien. Dies entsprach der Verfügung, die im Sommer 1941 in den ALLGEMEINEN HEERESMITTEILUNGEN veröffentlicht wurde und als AHM 41, Ziffer.153 in den Ausschließungspapieren der Betroffenen aufgeführt wurde.
Ab 1941 wurden alle ermittelten Sinti und Roma konsequent aus dem deutschen Militär entfernt. Dazu wurden kommunale Behörden aufgefordert, Listen der wehrpflichtigen Sinti und Roma zu erstellen.
Vertrauliches Schreiben des Reichs- und Preußischen Innenministers an die Landesregierung, Standesbeamten und Gesundheitsämter zur Erläuterung des "Blutschutzgesetzes" und seiner Ausführungsbestimmungen, durch welche Ehen zwischen "Deutschblütigen" und Menschen "artfremden Blutes" verboten. Gemeint sind die Sinti und Roma.
Hier heißt es:
"Zu den artfremden Rassen gehören alle anderen Rassen, das sind in Europa außer den Juden regelmäßig nur die Zigeuner"
Vertrauliches Schreiben des Regierungspräsidenten in Kassel, das die Bestimmungen des Blutschutzgesetzes zur Verhinderung von Ehen (Kriegstrauungen) zwischen so genannten "Deutschblütigen" und Sinti und Roma verhindern soll, 30. Juni 1941
Hinweise gab es vom Regierungspräsidenten in Arnsberg, der die Sinti in Berleburg, Sassmannshausen und Wittgenstein. Als Experte wird der Hilfsschullehrer Hesse aus Soest erwähnt.
Die Standesbeamten werden aufgefordert, den § 6 der 1. Ausführungsverordnung des Blutschutzgesetzes zu beachten.
Verfügung des Landrats von Schlüchtern an die Standesbeamten zur Beachtung der Abschrift des " Vertraulichen Ministerialerlasses" zu den Ehegenehmigungsanträgen von "Zigeunermischlingen" vom 20. Juni 1941, 16. Juli 1941
Beigefügt ist der vertrauliche Erlass des Reichsinnenministers an die Landesregierungen, 20. Juni 1941. Hier heißt es: "..., dass Zigeunerblut die Reinerhaltung deutschen Blutes in hohem Masse gefährdet." Es wird darauf hingewiesen, dass der Erlass nicht zu veröffentlichen sei.
Zwei Schreiben des Landrats in Marburg an die Kriminalpolizeistelle in Kassel wegen der Anträge der Sinti Ewald Strauß und Eva Schulte auf Wandergewerbescheine, 22. Februar 1940.
Die Nachfrage wird begründet wegen Eigenschaft als "Zigeuner oder Zigeunermischling". Bezug genommen wird auf eine Mitteilung des Gendarmeriebeamten in Cölbe und auf den Runderlass des Reichsführers SS vom 8. Dezember 1938.
Schreiben des Jugendführers des Deutschen Reichs an die Führer der Gebiete und Banne zum Ausschluss der Sinti und Roma von der Jugenddienstpflicht, 16. Mai 1942, weitergeleitet vom Regierungspräsidenten in Kassel an die Landräte, hier Marburg, und Oberbürgermeister am 8. Juni 1942
Sogenannte "Zigeunermischlinge vorwiegend deutschen Blutsanteil" sollten weiterhin, wenn sie nach Angaben des Reichskriminalpolizeiamtes Berlin als "sozial angepaßt" gelten weiterhin herangezogen werden. Bei Verdacht über Zugehörigkeit zu den Sinti und Roma sollten die Kriminalpolizeileitstellen informiert werden.
Die Sinti und Roma seien nicht nur zu entlassen, sondern auch von den Ortspolizeibehörden zu erfassen.
Schreiben des Wehrkreiskommandos VI, Münster, an den Landrat in Marburg zur Entlassung von Willi B. als "Zigeunermischling" wegen "mangelnder Eignung" aus dem Wehrdienst, 3. Juli 1942.
Bezug wird auf die Allgemeinen Heeresmitteilungen AHM 1941 Nr. 153.

Viele Institutionen und Individuen halfen bei der Verfolgung, Deportation und Ermordung von Sinti und Roma mit.
Der Einfluss der „Zigeuner“forschung bei der Vorbereitung des Völkermordes
Ohne die Mitarbeit von Wissenschaftlern hätte der spätere Volkermord nicht vorbereitet und durchgeführt werden können. Hier ist vor allem der Nervenarzt Dr. Dr. Robert Ritter zu nennen, unter dessen Leitung die „Zigeunerforschung“ an der Schnittstelle zwischen Reichsgesundheitsamt und Reichskriminalpolizei zentralisiert wurde. Die von ihm geleitete Forschungsstelle setzte sich zum Ziel, jeden „Zigeuner“ im Lande aufzuspüren und nach seiner Abstammung zu befragen. Auf diese Weise sollten lückenlose Genealogien erstellt werden, mit deren Hilfe „Gaunertum", "getarnter Schwachsinn" sowie „kriminelle und verbrecherische Neigungen" den Sinti und Roma zugeschrieben und als "urtümliche ererbte Instinkte" ausgelegt werden. Auch an der Universität in Gießen gab es eine dezidiert gegen Sinti und Roma angelegte Rassenforschung unter Kranz, der später an die Universität Frankfurt wechselte.
Eine der Hauptaufgaben der Berliner Rassenhygienischen Forschungsstelle war die möglichst lückenlose Erfassung der so genannten „Zigeuner und Zigeunermischlinge“ in Deutschland. Bis zum Beginn des Jahres 1941 waren in Deutschland etwa 20.000 - 30.000 Menschen namentlich erfasst und katalogisiert. Die Aufdeckung und Erfassung der Zigeunerstämme und er Mischlingsgruppen, so der Leiter der Forschungsstelle, war nicht wissenschaftlicher Selbstzweck, sondern dienten bewusst dazu, Unterlagen für die in Kürze zu erwartenden einschneidenden Maßnahmen gegen Sinti und Roma bereitzustellen. Ritter schrieb Anfang 1940 von weitreichenden Evakuierungsmaßnahmen, das hieß Vertreibung oder Verschleppung. Ritters „Forschungen“ und die seines Stabes kreisten um die Frage, wer als „Zigeuner und Zigeunermischling“, wie aus der rassistisch definierten deutschen Volksgemeinschaft auszugrenzen sei.
Ausgehend von sogenannten „rassenbiologischen“ und „bastardbiologischen Theorien“ suchte er nach messbaren Ergebnissen, die die Unterlegenheit der ethnischen Minderheit belegen sollten. Vor allem seine Mitarbeiterinnen trugen Ergebnisse über Nasenlänge, Ohrengröße, Kopfgröße etc. der deutschen Sinti und Roma zusammen. Wesentlich wichtiger war aber, dass bei diesen durch die Kriminalpolizei geleiteten Untersuchungen auch Angaben über die Verwandtschaftsverhältnisse gesammelt wurden, die die fast vollständige Erfassung der Sinti und Roma-Bevölkerung ermöglichten. Diese Unterlagen befinden sich heute im Bundesarchiv in Berlin. Ritter hatte immer wieder kritisiert, dass man „unzählige Zigeuner ... als solche nicht erkannt und daher nicht erfasst“ habe, weil bei den Polizeimaßnahmen in der Regel nur diejenigen Sinti und Roma erfasst worden waren, die einem ambulanten Gewerbe nachgingen.
Die polizeiliche Erfassung und Verfolgung
In den Jahre 1938 und 1939 wurde schließlich ein kriminalpolizeilicher Apparat aufgebaut, der eigens der „Zigeunerbekämpfung" diente. Er erstreckte sich von der „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens" in Berlin bis hinunter zu den Ortspolizeibehörden. Die institutionellen Voraussetzungen für eine reichseinheitliche Unterdrückung der Sinti und Roma waren damit gegeben, ohne dass ein reicheinheitliches Gesetz gegen Sinti und Roma formuliert wurde.
Am 8. Dezember 1938 begründete Heinrich Himmler in seinem Runderlass, oft als „Grunderlass“ zitiert, die weiteren Verfolgungsmaßnahmen gegen die in Deutschland lebenden Sinti und Roma. Zunächst sollten die 0,03 Prozent der deutschen Bevölkerung systematisch erfasst werden. Er verlangte zudem eine „Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus", wie er schrieb. Damit prägte der moderne Rassismus nun auch die polizeiliche Verfolgung der Sinti und Roma.
Am 17. Oktober 1939 ordnete das mittlerweile geschaffene Reichssicherheitshauptamt an, dass „Zigeuner und Zigeunermischlinge" bis auf weiteres ihren Wohn- bzw. Aufenthaltsort nicht mehr verlassen dürften.
Durch diese „Festschreibung“ wurde Sinti und Roma ihre bisherige Berufsausübung untersagt. Gleichzeitig wurden sie vor Ort zur Arbeit verpflichtet mit einer sozial-, arbeits- und steuerrechtlichen Schlechterstellung gegenüber der Mehrheitsbevölkerung.
Mit dem sogenannten Festsetzungserlass konnte jede Übertretung sofort mit der Einweisung in ein Konzentrationslager bestraft werden. Das betraf Männer und Frauen gleichermaßen. Dies bedeutete eine abermaliger Verschärfung der Lebenssituation der Sinti und Roma, obwohl schon seit 1933 Sinti und Roma in fast alle rassistisch begründeten Verfolgungsmaßnahmen eingeschlossen waren. Hunderte von Sinti- und Roma-Männer waren 1938 in Konzentrationslager verschleppt worden.
Diskriminierungen gab es schon lange für die Sinti und Roma in vielen Teilen der Gesellschaft. Auch die Ausschließung von Berufen war nicht neu. Die Verweigerung von Wandergewerbescheinen, die für die Ausübung aller Arten von ambulanten Gewerbe und Handwerk seit dem 19. Jahrhundert notwendig waren, war schon im späten 19. Jahrhundert von Zentralbehörden und lokalen Instanzen immer wieder erwogen worden, aber wegen einer rechtsstaatlichen Ordnung nicht in ihrer Totalität umsetzbar gewesen. Nach 1933 war es dann Behördenmitarbeitern leichter möglich, aber noch nicht unbedingt zwingend vorgeschrieben, einem Sinto, einer Sintezza oder einem Rom, einer Romni einen Wandergewerbeschein zu verweigern. Diejenigen Sinti und Roma, die zum Beispiel auf eine Registrierung durch die Reichsmusikkammer angewiesen waren, wurden zum Teil mit dem Argument, dass sie künstlerisch nicht hochstehend musizierten ausgeschlossen. Wollten sie weiterhin musizieren, mussten sie sich um einen Wandergewerbeschein bemühen. Hatten sie diesen erhalten, so waren sie verpflichtet für ihre musikalischen Darbietungen Vergnügungssteuern zu zahlen. Ein generelles Verbot des ambulanten Handels für Sinti und Roma gab es allerdings noch nicht, selbst wenn man die immer wieder verordnete restriktive Vergabepraxis für Wandergewerbescheine sieht, die beinahe einem Ausschluss vom ambulanten Handel gleichkam. Als Schausteller tätige Sinti und Roma waren ebenfalls in ihrer Existenz bedroht, ob nun als Besitzer eines Wanderkinos, eines Karussells oder von Schießbuden. Ausschlüsse aus den Kammern beziehungsweise Schwierigkeiten mit den Verbänden, die bis zur Einstellung der Berufstätigkeit führten, traten massiv um 1937/38 auf.
Dramatisch veränderte sich die Lage der Sinti und Roma, die selbständig im ambulanten Gewerbe tätig waren, nach ihrer Festsetzung im Oktober 1939.
Mai 1940
Acht Monate nach der Erfassung und Festschreibung wurden im Mai 1940 etwa 2.800 Sinti und Roma aus Norddeutschland, dem Rheinland und dem deutschen Südwesten nach Polen deportiert. Dies sollte der Beginn der Deportation aller Sinti und Roma aus Deutschland und Österreich sein. Sinti und Roma aus dem Regierungsbezirk Kassel waren in die Umsetzung der Aktion nicht einbezogen, sondern sie wurden nur erfasst und in Gruppen für eine sofortige und eine spätere Abschiebung unterteilt.
Die Mehrheit der Deportierten wurde in Polen unter SS-Bewachung in Zwangsarbeiterkolonnen zusammengefasst und zum Bau von Militäreinrichtungen oder KZs genötigt. Viele Sinti und Roma wurden in die verschiedenen jüdischen Ghettos eingewiesen. Diese Deportationen wurden nach wenigen Wochen im Sommer 1940 eingestellt. Aber die Erfassung der Sinti und Roma war sehr weit fortgeschritten und die deutschen Behörden hatten bewiesen, dass sie in der Lage waren, innerhalb kürzester Zeit viele Menschen „geordnet“ zu deportieren.
Deportation nach Auschwitz
Im September 1942 verständigten sich der Reichsführer Heinrich Himmler und Justizminister Thierack darüber, dass sogenannte „asoziale Elemente aus dem Strafvollzug [...] Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer [...] an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit ausgeliefert werden“ sollten. Gemäß eines Befehls des Reichsführers-SS vom 16. Dezember 1942 sollten die Sinti und Roma aus Deutschland in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt werden.
Am 29. Januar 1943 verfügte das Reichssicherheitshauptamt schließlich die Deportation. Seit Ende Februar, Anfang März 1943 wurde nach den zuvor erstellten Erfassungslisten die Sinti und Roma überall im Deutschen Reich verhaftet, an lokalen Sammelstellen zusammengeführt und in Zügen der Reichsbahn nach Auschwitz deportiert. Gemäß eines ergänzenden Erlasses des Reichministers des Innern vom 26. Januar 1943 wurde das Eigentum der nach Auschwitz verschleppten Personen für den deutschen Staat eingezogen. Für diejenigen „Zigeuner“ und Zigeunermischlinge", die nicht nach Auschwitz deportiert wurden, weil sie etwa mit so genannten „Deutschblütigen“ verheiratet waren, war in der Regel die Zwangssterilisation vorgesehen. (s. Raum 7)
Wenige andere Sinti, die unter Ausnahmebestimmungen fielen, wurden nach Frankfurt in das dort Internierungslager in der Kruppstraße deportiert, dort immer mit der Drohung lebend, doch noch nach Auschwitz verbracht zu werden.
s. hierzu: Peter Sandner: Frankfurt. Auschwitz. Frankfurt 1998 (Hornhaut auf der Seele Band 4)
Titelseite und Ausschnitte aus der Hessischen Rundschau vom 22. November 1938: Titelschlagzeile: "Juden für Deutsch-Ostafrika".
Auf der ersten Seite ebenfalls Auszüge aus Luthers Schrift von 1543 "Von den Juden und ihren Lügen" unter der Überschrift: "Martin Luthers Rezept - Vorschläge zur Lösung der Judenfrage". Im zweiten Vorschlag heißt es:
"Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder Stall tun wie die Zigeuner, auf daß sie wissen, sie seien nicht Herren in unserm Land, ..."
Runderlass des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern zur Erfassung der Sinti und Roma, 8. Dezember 1938, veröffentlicht als Sonderdruck Nr. 95 aus dem Ministerialblatt des Reichs- und Preuß. Ministeriums des Innern 1938, Nr. 51
Heinrich Himmler befiehlt die rassenbiologische Erfassung der deutschen Sinti und Roma, um die "Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse in Angriff zu nehmen".
Dieser Runderlass wird auch als "Grunderlass" bezeichnet.
Verfügung des Landrats von Fritzlar-Homberg an die Bürgermeister und Standesbeamten, den "Runderlass betr. Bekämpfung der Zigeunerplage" (Grunderlass zur Erfassung der Sinti und Roma) zu beachten, 16. Dezember 1938
Schreiben der Kriminalpolizeileitstelle Frankfurt an die Gendarmerie-Inspektion Melsungen mit zwei Mustervordrucken RKP 172, 17. Juni 1939 und dem Verweis der Bestellung von Vordrucken in Berlin
Handschriftlicher Vermerk: "Frl. Troest mit der Bitte um Anfertigung von 150 St. Vordr. nach an. Muster. -"
Hektographiertes Meldeblatt der Kriminalpolizeistelle Kasselan die Landräte und Oberbürgermeister mit einer Anlage Handreichung zur Erfassung der Sinti und Roma, 17. März 1939.
Bezug wird auf die Runderlass des Reichsführers SS vom 8. Dezember 1938 genommen. Es wird eine Erfassung in dreifacher Ausfertigung auf einem entsprechenden Formular, RKP 172). Die Ortspolizei wird aufgefordert, personenbezogene Daten zu erheben und alle Personen über 6 Jahren erkennungsdienstlich zu behandeln, um die "rassenbiologischen" Untersuchungen vorzubereiten.
Übersendung des Erfassungsbogens, Formular RKP 172, vom der Kriminalpolizeileitstelle Frankfurt an die Gendarmerei-Inspektion Melsungen, zur Erfassung der im Kreis wohnenden Sinti und Roma. Die Formulare sind nach der Vorlage selbst zu erstellen.
Bezug ist hier der Runderlass des Reichsführers SS vom 8. Dezember 1938
Formblatt der Kriminalpolizeistelle Kassel mit dem Verbot für Sinti und Roma, den Wohnsitz zu verlassen. Bei Zuwiderhandlung wurde die Einweisung in ein Konzentrationslager angedroht.
Das Formblatt war für Dreihausen vorgesehen.
Abschrift des Geheimen Schnellbriefs des Reichssicherheitshauptamts Berlin an die Kriminalpolizeileitstelle Frankfurt zur Zigeunererfassung, 17. Oktober 1939 (Abschrift). Mit der Anordnung des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei sollen Sinti und Roma im Zeitraum vom 25. bis zum 27. Oktober 1939 durch die Ortspolizeibehörden erfasst und festgesetzt werden. Bei Zuwiderhandlungen wird den Betroffenen die Einweisung in ein Konzentrationslager angedroht.
Bezug: Erlass zur Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung vom 14. Dezember 1937
Geheime Übersendung der Abschrift des Schnellbriefes des Reichssicherheitshauptamts Berlin an den Landrat in Biedenkopf durch die Kriminalpolizeileitstelle Frankfurt mit Anweisung zur Erfassung der Sinti und Roma durch die Ortspolizeibehörden, 19. Oktober 1939
Die Durchführung der listenmäßigen Erfassung war auf den 25. bis 27. Oktober 1939 festgesetzt. Die Definition der "Zigeunermischlinge" erfasst "Personen, die aus der Vermischung von Zigeunern und Ariern hervorgegangen sind."
Die Listen zu den einzelnen Kreisen und Städten befinden sich Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden in der Abt. 407 Nr. 864
Im Herbst 1941 führte die Rassenhygienische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes in Berlin weitere Kampagnen zur Ermittlung der "zigeunerischen" Bevölkerungsteile durch. Während dieser Zeit kamen die Mitarbeiterinnen auch in den hessischen Raum, u. a. nach Marburg und Fulda, um Sinti und Roma zu vermessen und auszuhorchen. Geleitet wurden diese Aktionen von der Kriminalpolizei, die die nachgeordneten Behörden vorher von den Einsatzorten informierte.
Hier wurden Untersuchungen in Lohra, Dreihausen, Elnhausen, Rauschenberg und Neustadt angekündigt.
Der Sinto Robert Steinbach lebte in Neustadt, war aber nicht entsprechend des Erlasses vom 17. Oktober 1939 erfasst worden. Deshalb sollte Fingerabdrücken und Lichtbilder erstellt und übersandt werden wie auch das Fomular RKP Nr. 172.
Hier wird genau aufgelistet, was der Bürgermeister zu veranlassen hatte.
Briefwechsel zwischen dem Bürgermeister von Neustadt und dem Landrat von Marburg über die Verzögerung bei der Erfassung des Sintos Robert Steinbach, 21. Mai bis 30. Juni 1942
Steinbach konnte zunächst wegen eines Krankenhausaufenthaltes nicht erfasst werden. Der Vorgang bleibt unvollständig, weil das Schreiben vom 3. Juni 1942 fehlt, in dem aus Sicht des Bürgermeisters die Erfassung abgeschlossen war.
Schreiben der Kriminalpolizeistelle Kassel an den Landrat in Marburg wegen der Unbrauchbarkeit zweier Fingerabdruckbögen, 27. Juni 1942
Die Bögen der Sinti-Kinder Georg und Hans Winter aus Dreihausen gelten als unbrauchbar und wurden deshalb zurückgesandt.
Vorderseite eines Fingerabdruckbogens, hier Anfang Juni 1942 abgenommen von dem Sinti-Kind Georg Winter.
Der Bogen wurde von der Kriminalpolizeistelle Kassel dem Landratsamt in Marburg wegen seiner kriminalpolizeilichen Unbrauchbarkeit zurückgesandt.
Schreiben des Landrats in Biedenkopf an die Kriminalpolizeileitstelle Frankfurt über die Deportation der Familie Bäcker in das Konzentrationslager Auschwitz, 15. März 1943.
Familie Bäcker wurde als "Zigeunermischlinge" am 8. März 1943 von Biedenkopf über Frankfurt auf Grund eines Schreiben vom 27. Februar 1943 des Kriminalpolizeileitstelle Frankfurt nach Auschwitz deportiert.
Schreiben des Landrats in Marburg an die Bürgermeister in Cölbe, Rauschenberg, Dreihausen und Oberweimar mit der Ankündigung der Deportation der Sinti in ein Konzentrationslager, 17. März 1943:
Betroffen waren die Familien Strauß, Steinbach, Kreuz, Winter und einzelne Personen. Die Kommunen sollten die Einweisung "in ein polizeiliches Arbeitslager auf unbestimmte Zeit" im Melderegister vermerken.
Heinz Strauß, damals 17 Jahre alt und in Cölbe wohnend, berichtet davon, dass die Familie von den Polizeibeamten gewarnt wurde:
1943, im Januar, Februar, wußten wir, was Sache war. Der Wachtmeister, nein Oberwachtmeister, kam abends mit seiner Frau zu uns. Seine Frau weinte. Er nahm meinen Vater an die Seite und sagte: "S., ich muß dir was erzählen. Wenn möglich, mach dich dünn. Sieh zu, daß du Cölbe verlassen kannst. Ihr sollt abgeholt werden. Ihr sollt ins KZ. Wir haben damals mitten im Dorf gewohnt. In dem Haus haben wir mit der Familie B. zusammengewohnt. Das war an der Hauptstraße, in der Untergasse 39.
Nachdem mein Vater von der Deportation erfahren hatte, kamen ihm auch gleich die Tränen. „Und was sollen wir jetzt machen? Ich komme hier nicht mehr weg, ich bin festgeschrieben. Wenn sie uns erwischen, kommen wir weg. Wir schaffen es nicht mehr. Wo sollen wir denn hin?" Der Wachtmeister ging weg. Abends spät kam die Frau noch einmal und brachte etwas zu essen. Es war furchtbar.
Dann kam noch ein anderer Wachtmeister, der hieß H. Der hat uns auch die Nachricht gebracht, daß wir weg sollen. Wir sollten aber ruhig bleiben. Dann kam das Schlimmste: Unser Bürgermeister kam, auch mit seiner Frau. Beide heulten wie die Schloßhunde. Sie haben uns gewarnt, aber wir konnten nichts machen. Und verstecken konnten sie uns auch nicht, [...]
Wir sind dann (am 23. März 1943, uer) von der Gendarmerie zum Cölber Bahnhof gebracht worden. Von da aus ging es dann mit dem Zug nach Marburg, zum Hauptbahnhof. Vom Hauptbahnhof brachten sie uns ins ehemalige Landratsamt. Dorthin, wo heute die Gedenktafel [Marburg, Barfüßerstraße] angebracht ist. Sie haben dann die Sinti zusammengeholt, die im Kreis lebten. [...]
Dann Polizisten, links und rechts, mit Gewehren und Hunden, sind wir dann losgegangen, durch die Stadt bis zum Bahnhof, und dann wurden wir in einen Waggon reingepfercht. [...]
In Kassel haben wir Halt gemacht. Da haben sie noch weitere Sinti eingeladen. Dann ging es durch bis nach Auschwitz-Birkenau. Uns haben die gesagt, wir werden angesiedelt, wir müßten da nur alles urbar machen. Das haben wir auch geglaubt. Wir haben nie geglaubt, daß es uns da schlecht geht."
S. 89
Wir sind alle zugleich ins KZ gebracht worden. Wir waren acht Personen. Ich bin - glaube ich - in der Metzgerei abgeholt worden. Ich weiß gar nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich den Schlüssel von der Metzgerei, den Schlüssel fürs Haus, dem Gestapomann aus Fulda, der uns nach Auschwitz begleitet hat, in Breslau gegeben habe. Der hieß te Lake. Dem habe ich den Schlüssel gegeben. Er sollte ihn in der Metzgerei abgeben. In unserem Abteil war noch die Familie Weiss, der Schnegeli, der als Straßenkehrer in Fulda gearbeitet hatte.
Die sind morgens gekommen. Sie haben ganz früh morgens unsere Häuser mit Polizisten umstellt. Es sind Lastwagen vorgefahren. „Einpacken, was ihr tragen könnt, als andere bleibt hier.“ Das war in der Haimbacher Straße. Betten, Geschirr, alles musste dableiben. „Lebensmittel könnt Ihr ein bisschen mitnehmen.“ Dann sind wir - so glaube ich - auf die Lastwagen verladen worden und sind zu diesem Bauhof verladen worden. Verhaftet hat uns die Kriminalpolizei, der besagte Gestapo-Mann te Lake und die allgemeine Ortspolizei. Und dann sind wir in diesem Bauhof eingeliefert worden. [...]. Wir wurden von der Polizei verpflegt, bis wir zum Bahnhof kamen.
Damals war ich knapp 18 Jahre: Ich war der Meinung, dass wir nach Polen deportiert werden, weil vorher immer die Sprache davon war, dass die Sinti nach Polen deportiert werden [...]
Man dachte, man würde nach Polen deportiert werden, um dort als selbständige Landwirte zu arbeiten, dass man einen Bauernhof zugewiesen bekommt, den man vorher den Polen abgenommen hatte. Und dass dieses Land von uns besiedelt und bewirtschaftet werden sollte. Das war ein Grundgedanke, weil schon wochen- und monatelang darüber gesprochen wurden, dass die Sinti eventuell aus Deutschland nach Polen deportiert würden.
S. 99
Wir sind im normalen Personenwagen transportiert worden, haben Verpflegung mitbekommen und Bewachung. Als Begleitperson war dieser T. dabei, der mir früher Schläge angeboten hatte. Der hat uns - soweit ich mich erinnere - bis Breslau begleitet oder Auschwitz. Das weiß ich nicht mehr genau. Er hat irgendwann die Akten übergeben.
In Auschwitz wurden wir an der Rampe ausgeladen, da war dann noch mein Großvater dabei, der Peter Reinhardt, und der hatte noch sein Bett dabei. Wir durften ja nur mitnehmen, was wir anziehen konnten. Alles andere blieb zu Hause. Also der hatte sein Bett dabei, im Bettlaken eingebunden wie ein Flüchtling. Da sagte mein verstorbener Vater zu mir: „Nimm doch deinem Großvater das Bett ab. Der kann das doch nicht tragen.“ So habe ich das Bett noch getragen. Und da haben wir uns alle in Fünferreihen aufstellen müssen: fünf Personen nebeneinander. Und da war vor uns einer aus einer anderen Fuldaer Familie. Der Vater hatte ein Kind auf dem Arm. Und mit diesem Kind waren es dann sechs. Und da kam der SSler und hat zu ihm gesagt: „Du, Untermensch. Ich habe dir doch gesagt, ihr sollt zu fünft antreten, und ihr seid doch hier zu sechst.“ Dann hat er sein Gewehr umgedreht und hat ihm mit dem Gewehrkolben in die Rippen geschlagen. Das weiß ich noch wie heute. Er hat dann das Kind weitergegeben, in die nächste Reihe, damit es immer nur fünf waren.
Dann sind wir dort weiter marschiert. In Hundertschaften. Bis nach Birkenau. Das war eine ganz schöne Strecke. Da sind wir noch durch ein Arbeitslager durchgekommen, wo die Leute überall gearbeitet haben, Holz gestapelt und so weiter. Da habe ich noch zu meinem verstorbenen Vater gesagt: „Hier kommen wir nicht mehr raus.“ Wie ich das gesehen habe, dass die alle von SS-Leuten bewacht waren. Und mein Vater hatte gedacht, dass wir hierher nur zur Arbeit deportiert worden sind. Deportiert, dass wir dort in einem Arbeitslager arbeiten. Dass das ein Vernichtungslager war, wussten wir ja nicht.
Das Gespräch wurde im September 1994 aufgezeichnet.
Schreiben der Kriminalpolizeileitstelle Frankfurt an den Landrat in Biedenkopf wegen der beschlagnahmten Vermögenswerte der nach Auschwitz deportierten Familie Bäcker, 25. Mai 1943.
Bezug genommen wird auf den Schnellbrief vom 29. Januar 1943 des Reichssicherheitsamtes zur Deportation der Sinti und Roma.
Die Sinti in Biedenkopf waren am 8. März 1943 nach Auschwitz deportiert worden; ihr Hab und Gut wurde am 9. März 1943 enteignet.
Anschreiben des Landrats in Biedenkopf an die Kriminalpolizeileitstelle Frankfurt zur Vermögensaufstellung der nach Auschwitz deportierten Sinti, 29. Juni 1943, in Beantwortung des Schreibens vom 25. Mai 1943
Anlage: "Verzeichnis der sichergestellten Vermögenswerte der Zigeunermischlingsfamilie Ludwig Bäcker aus Biedenkopf", erstellt vom Bürgermeister am 24. Juni 1943
Kurz darauf kamen die beiden Kriminalen von Frankfurt. Der eine hieß Mohr. Das kann ich nie vergessen. Wie sie hieß, weiß ich nicht mehr. Die war schlechter als er. Die war strenger wie er gewesen. Sie haben dann Fragen auf Fragen gestellt an meinen Vater. Auch an meine Mutter. Die Großeltern, die Urgroßeltern ... Das haben die aber alles viel besser gewusst wie meine Eltern. Wie die gehießen haben und so weiter. Da waren die auch sprachlos gewesen. Dann kam´s, dass die den Stichtag festgesetzt, für den Transport nach Auschwitz für unsere Familie.
Wir haben jetzt alleine an dem Ort gewohnt. Da waren jetzt nicht noch weitere Sinti. Die von Breitscheid gab es noch. Aber wir waren hier allein. Die müssen das auch erfahren haben. Wie gesagt, dann haben sie den Stichtag festgesetzt und wir sollten dann im April wegkommen. Das genaue Datum weiß ich gar nicht mehr.
Nun das Besondere. Die haben festgestellt, zwei Kinder waren krank. Maria, Heinz seine Frau und mein Bruder.
Jetzt war mein Vater schon einige Jahre dort [in Hirzenhain, uer] angestellt und der wollt´ ihn gar nicht weg lassen. Wir können heute noch Gott dafür danken. Ich glaube, dass Gott das alles geführt hat. Er hat die Hand darüber gehalten, dass wir da noch wieder heraus konnten.
Jetzt war das so gewesen. Der Stichtag war vorbei.
Der Chef von meinem Vater wollte ihn auch gar nicht weg lassen. Der hat auch mit den Kriminalen gesprochen, dass er ihn dringend braucht, dass er ihn nicht entbehren konnte, und sie sollten doch eine Ausnahme machen. Aber das war unmöglich. Dann hat der seinen Hausarzt kommen lassen, mein Vater sein Arbeitgeber. Hätten wir unseren Hausarbeit kommen lassen, hätte das nichts genutzt. Das hat der wohl gewusst. Wär´ der in der Partei gewesen, hätte er sie sicher nicht arbeitsunfähig, ich meine transportunfähig, geschrieben. So hat er seinen Hausarzt kommen lassen. Der hat sie dann untersucht, mit ihnen gesprochen, und dadurch haben wir zwei Monate Aufschub bekommen. Bis die Kinder gesund sind. Das war unsere Rettung.
Aber dableiben durften wir sowieso nicht. Dann sind wir weggekommen, nach Frankfurt. Ins Lager, wo schon andere Sinti waren. Und auch von dort sind immer wieder welche fortgekommen nach Auschwitz. Auch als wir schon drin waren, sind noch Familien nach Auschwitz fort. Für nix und wieder nix.
Also das hatte er dann wenigstens geschafft, dass wir dort hinkommen. Jetzt kamen wir dort an. Der Bürgermeister, der war in der SA, hat uns an den Bahnhof begleitet und ist auch mitgefahren. Dann hat er uns in Frankfurt der SS übergeben, die uns dann ins Lager gebracht hat.
Jetzt kamen wir dort an. Wir waren Ordnung gewöhnt. Jetzt kamen wir dort an – nur große Waggons, voll Ungeziefer ... Wir wussten nicht, dass da Ungeziefer drin war. In den ersten Tagen haben wir das gemerkt. Es waren Wanzen, oder was weiß ich. Hautjucken, Ausschlag und so weiter. Dann haben wir erst einmal was weiß ich wie viel Tage draußen geschlafen, bis die das ausgesprüht haben.
Damals, wie ich noch so jung, habe ich das gar nicht wahrgenommen oder nur im Unterbewusstsein, was da vorgegangen ist. Man hat´s gesehen, man hat´s mitgemacht, verstanden habe ich es nicht richtig. Aber meine Eltern, die wussten, was los war. [...]
Das Gespräch wurde im April 2002 geführt und ist teilweise in überarbeiteter Form im Buch „Flucht. Internierung. Deportation. Völkermord. Bearbeitet von Josef Behringer. Seeheim 2005, S. 80-81 erschienen.

Völkermord
Im so genannten „Zigeunerfamilienlager" in Auschwitz-Birkenau wurden etwa 23.000 Menschen zusammengepfercht. 20.078 der dort registrierten Sinti und Roma wurden ermordet. Darunter waren etwa 700 Sinti und Roma aus Hessen. Zwischen April und Juli 1944 wurden die noch arbeitsfähigen Sinti und Roma in die KZs Buchenwald, Ravensbrück und Flossenbürg überstellt. Sie mussten dort beziehungsweise in den verschiedenen Außenlagern Sklavenarbeit leisten. Die in Auschwitz Zurückgelassenen und die letzten „Neuzugänge“, die im Juli 1944 in Auschwitz eingeliefert waren, wurden in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 vergast. Aus dem Konzentrationslager Buchenwald wurden Ende September 1944 die als nicht arbeitsfähig angesehenen jugendlichen Sinti und Roma zurück nach Auschwitz deportiert und dort im Oktober 1944 ermordet.
Was Auschwitz war, belegen die verschieden Aussagen von Überlebenden.
Von den rund 1000 deportierten und verfolgten Sinti und Roma überlebten etwa 250 Menschen, die 1945 meist zwischen 15 und 30 Jahre alt waren die verschiedenen Lager.
Sterilisierung
Die Beseitigung der „Zigeuner“ in Deutschland wurde durch die Deportation zur Vernichtung in Auschwitz oder durch „Arbeit“ vollzogen. Aber nicht alle Sinti wurden nach Auschwitz deportiert. Sinti, die mit sogenannten „Deutschblütigen“ verheiratet waren, waren von der Deportation ausgenommen, aber sie wurden in der Regel – wie auch die meisten ihrer Kinder – zwischen 1943 und 1945 unfruchtbar gemacht. Dazu wurde in manchen Fällen das schon zuvor gegen Sinti und Roma eingesetzte „Gesetz zur Verhütung des erbkranken Nachwuchses“ herangezogen. War eine Person von Reichskriminalpolizeiamt in Berlin als „Zigeunermischling, 1. Grades“ oder als „Zigeuner mit arischem Ehepartner“ für eine Sterilisierung erfasst worden, veranlasste das Reichsinnenministerium nachgeordnete Instanzen, die Sterilisierung vor Ort durchzuführen. Für die betroffenen Personen gab es in der Regel keine Alternative, als sich der Operation zu unterziehen. Ihnen wurde die Einweisung in ein Konzentrationslager angedroht. Kinder aus diesen so genannten Misch-Ehen wurden mit Erreichung des 12. Lebensjahres ebenfalls sterilisiert.
S. 102-103:
[...] wer zu jung und zu wenig abgehärtet war, der ist gestorben. Mein verstorbener Bruder war ja auch zwei Jahre jünger als ich. Der ist nach einem Jahr gestorben. Der war sechzehn. Der ist nach einem Jahr gestorben: Schwäche. Das Herz war angegriffen. Und die Unterernährung. Abends hat er bei mir noch bestellt: wenn du mir Marmelade bringen willst. Ich hatte am Fenster mit ihm gesprochen. Reingehen [in den Krankenblock, uer] konnte man ja nicht, weil ja alles bewacht war. Ich bringe dir morgen früh deine Marmelade, habe ich gesagt. Am andern Tag bin ich dann zum Fenster gegangen und da hat auch einer zum Fenster rausgeschaut. Ich habe ihm gesagt, ruf doch mal den Danzi. Er hat nur gesagt: der ist nicht mehr da, ist heute nachts gestorben. Ich wollte ihm die Marmelade, das letzte, was ich ihm geben wollte, aber er war schon tot. Er war sechzehn, vielleicht auch schon siebzehn geworden. Es ist so viel verdrängt. Ich weiß gar nicht mehr, wie lange wir da schon drin waren. [...]
Mein Vater, der war nicht dabei, der ist schon nach einem Jahr gestorben. Typhus hatte er bekommen. Für meinen Vater war es hart. Und zwar aus einem bestimmten Grunde. Er hatte erkannt, wie wir da rein kamen, dass er mit der Familie nicht mehr heraus kann. Wie er alles, die ganzen Umstände gesehen hatte, die Bewachung, den Stacheldraht, die Wachposten, die Versorgung, die Appelle morgens und abends, und die Aussortierung der Arbeitskräfte […]
Wir sind ja aussortiert worden nach acht, vierzehn Tagen, und mein Bruder und ich sind dann ins Männerlager gekommen, wurden von der Familie getrennt, mein Vater blieb bei der Familie. Er war dann im Block Nachtwächter. Es gab in jedem Block einen Nachtwächter. Er hat Typhus bekommen und ist elendig zugrunde gegangen. Wir beiden Söhne sind weggekommen, und er wusste nicht, wo wir waren.
Wir waren dann im Männerhauptlager in Auschwitz. Wir sind auch wieder getrennt worden. Schon an dem ersten Abend, wo wir rüber gekommen sind, wurden wir abgezählt, und er stand hinter mir. Hinter mir hat er dann Schluss gemacht und mich so zu einer anderen Arbeitseinheit eingeteilt. Dann kam er in Block 4a. Das war die so genannte Maurerschule, und ich kam in Block 5a. So waren wir beide getrennt. Später sind wir dann zusammen in einem Kommando zur Arbeit gegangen. Ich bin dann beim Kommando BV II, wenn ich mich richtig erinnere. Wir waren zweitausend Mann und wurden dann wieder aufgeteilt, zur Schreinerei, zum Mauern, zum Planieren. Ich selbst war beim Planieren. Und hierher ist mein Bruder auch dazu gekommen. Bei der Arbeit waren wir zusammen, aber wenn wir dann abends zurück marschierten, wurden wir wieder getrennt, er in einen Block, ich in einen anderen. Er war ziemlich hilflos, und ich zunächst auch. Ich könnte heute noch darüber weinen, wenn ich daran denke, dass ich meinem Bruder nicht helfen konnte. Ich war ja selbst unerfahren, erst kurz im Lager. [...]
In Auschwitz war ich in Stube 6. Der Blockälteste war ein Berufsverbrecher mit einem grünen Wickel. BVler sagten wir dazu. Er nannte es „Sperlingshöh“. Da pfiff der Wind durch die Dachziegel. Nur Dachziegel, sonst nichts. Da standen die 3-etagige Betten, und in diesen waren nur die sogenannten „Minderwertigen“ untergebracht. Ich bin da gleich bei der ersten Einteilung hingekommen. Es waren noch etwa 100 andere da oben.
S. 105
Ich war erst in Auschwitz. Wir waren dann ungefähr ein Jahr in Auschwitz, sind dann von dort auf den Transport nach Buchenwald weggekommen. Nur arbeitsfähige junge Männer aus dem Hauptlager. Nicht aus dem Zigeunerlager, da sind wir ja schon vorher herausgekommen. Wir waren ja nur drei oder vier Wochen in diesem Zigeunerlager. Da sind dann die arbeitsfähigen jungen Männer ausgesucht worden, und die sind dann ins Hauptlager nach Auschwitz gekommen. Und in diesem Hauptlager ist dann auch mein Bruder verstorben.
Da fällt mir noch ein Ereignis ein. Da sind Russen ausgerissen. Die waren dort im Fuhrpark tätig, hatten mit Pferden zu tun. Sie waren alle versiert mit Pferden. Die haben dort die Transporte durchgeführt. Sie waren beschäftigt in einem richtigen Pferdestall mit Fuhrpark. Das war ein Sonderkommando. Von denen sind drei oder vier ausgerissen. Und dann musste das ganze Lager Appell stehen, bis die gefasst worden sind. Und die sind dann gefasst worden. Und alle mussten an denen vorbeimarschieren. Sie waren zugerichtet, auf Brettern festgenagelt oder gebunden, die schräg an einer Wand aufgestellt waren. Wie sie genau festgemacht waren, weiß ich nicht genau. Alle mussten zur Abschreckung an denen vorbeimarschieren. Dem einen Russen hingen die Eingeweide heraus. Die hatten ihn aufgeschlitzt oder er hatte einen Bauchschuss bekommen. Und wirklich alle mussten vorbei. Das war in Auschwitz.
Von da aus sind wir nach Buchenwald gekommen. In Buchenwald waren wir vier oder sechs Wochen in Quarantäne. Wir mussten aber dort arbeiten. Wir haben Steine aus dem Steinbruch getragen, haben sie woanders hingelegt. Dann haben wir in der Gärtnerei Düngemittel getragen, in Kisten, immer zu zweit, einer hinten, einer vorne. Und auch wieder Appelle gestanden. Dort in Buchenwald waren wir bis zum 12. Mai 1944. Und dann sind wir nach Dora gekommen. Dora war damals im Aufbau. Es wurde die Fabrik, wo später die V1 gebaut wurde, in den Fels gesprengt. Ich war damals mit noch einem Mettbach, der war aus Mainz und ist vor ein, zwei Jahren gestorben, vom Jahrgang 1924 wie ich, und noch einem aus Gießen, der hieß auch Mettbach, und war der Cousin von dem ersten. Wir waren alle bei einem Kommando: Zaunbau-Kommando. Da waren wir ungefähr ein halbes Jahr und haben die Betonpfosten gesetzt. Der Traubeli und ich haben die ausgerichtet mit dem Lot und einbetoniert. Da waren dann noch ein, zwei, drei Mann abkommandiert. Und nach einem halben Jahr haben wir uns freiwillig zu einem Transport gemeldet. Der ist dann abgegangen nach Ellrich; das war ein Nebenlager, ungefähr 25 Kilometer entfernt. Von Ellrich wurden wir dann eingesetzt in Wurfleben. Da haben wir dann wieder einen Berg ausgesprengt, wo Fabriken eingebaut werden sollten. Wir sind dann morgens mit einem Güterzug heruntertransportiert worden und abends wieder nach Hause. Und da haben wir verschiedene Arbeiten ausführen müssen.
Ich war erst in Auschwitz. Wir waren dann ungefähr ein Jahr in Auschwitz, sind dann von dort auf den Transport nach Buchenwald weggekommen. Nur arbeitsfähige junge Männer aus dem Hauptlager. Nicht aus dem Zigeunerlager, da sind wir ja schon vorher herausgekommen. Wir waren ja nur drei oder vier Wochen in diesem Zigeunerlager. Da sind dann die arbeitsfähigen jungen Männer ausgesucht worden, und die sind dann ins Hauptlager nach Auschwitz gekommen. Und in diesem Hauptlager ist dann auch mein Bruder verstorben.
Da fällt mir noch ein Ereignis ein. Da sind Russen ausgerissen. Die waren dort im Fuhrpark tätig, hatten mit Pferden zu tun. Sie waren alle versiert mit Pferden. Die haben dort die Transporte durchgeführt. Sie waren beschäftigt in einem richtigen Pferdestall mit Fuhrpark. Das war ein Sonderkommando. Von denen sind drei oder vier ausgerissen. Und dann musste das ganze Lager Appell stehen, bis die gefasst worden sind. Und die sind dann gefasst worden. Und alle mussten an denen vorbeimarschieren. Sie waren zugerichtet, auf Brettern festgenagelt oder gebunden, die schräg an einer Wand aufgestellt waren. Wie sie genau festgemacht waren, weiß ich nicht genau. Alle mussten zur Abschreckung an denen vorbeimarschieren. Dem einen Russen hingen die Eingeweide heraus. Die hatten ihn aufgeschlitzt oder er hatte einen Bauchschuss bekommen. Und wirklich alle mussten vorbei. Das war in Auschwitz.
Von da aus sind wir nach Buchenwald gekommen. In Buchenwald waren wir vier oder sechs Wochen in Quarantäne. Wir mussten aber dort arbeiten. Wir haben Steine aus dem Steinbruch getragen, haben sie woanders hingelegt. Dann haben wir in der Gärtnerei Düngemittel getragen, in Kisten, immer zu zweit, einer hinten, einer vorne. Und auch wieder Appelle gestanden. Dort in Buchenwald waren wir bis zum 12. Mai 1944. Und dann sind wir nach Dora gekommen. Dora war damals im Aufbau. Es wurde die Fabrik, wo später die V1 gebaut wurde, in den Fels gesprengt. Ich war damals mit noch einem Mettbach, der war aus Mainz und ist vor ein, zwei Jahren gestorben, vom Jahrgang 1924 wie ich, und noch einem aus Gießen, der hieß auch Mettbach, und war der Cousin von dem ersten. Wir waren alle bei einem Kommando: Zaunbau-Kommando. Da waren wir ungefähr ein halbes Jahr und haben die Betonpfosten gesetzt. Der Traubeli und ich haben die ausgerichtet mit dem Lot und einbetoniert. Da waren dann noch ein, zwei, drei Mann abkommandiert. Und nach einem halben Jahr haben wir uns freiwillig zu einem Transport gemeldet. Der ist dann abgegangen nach Ellrich; das war ein Nebenlager, ungefähr 25 Kilometer entfernt. Von Ellrich wurden wir dann eingesetzt in Wurfleben. Da haben wir dann wieder einen Berg ausgesprengt, wo Fabriken eingebaut werden sollten. Wir sind dann morgens mit einem Güterzug heruntertransportiert worden und abends wieder nach Hause. Und da haben wir verschiedene Arbeiten ausführen müssen.
In Birkenau! Da wurden die Waggons aufgemacht, und die Posten standen schon bereit. Männer links, Frauen rechts. Waggon für Waggon wurde aufgemacht. Dann hieß es: „Die erste Hundertschaft rein!" Im Block haben sie uns die Nummer eintätowiert.
Das erste, was mir aufgefallen ist, war der Gestank. Ein Gestank!!! Sie haben uns die Haare abrasiert, Männern wie Frauen. Dann wurden wir eingeteilt, zum Arbeiten.
Es sollte dort eine Landeplatz gebaut werden. Die, die Waldarbeiten machen mußten, hatten kleine Loren. Wir mußten die Loren zum Krematorium schieben. Asche und Knochen aus den Krematorien mußten wir in die Loren schaufeln und in den Wald bringen. Der Inhalt wurde da verstreut. Jetzt wußte ich, was Auschwitz war. [...]
Wir waren im Block 8. Und wenn du in den letzten Block gegangen bist, ... Es ist menschenunmöglich, ... So lang, wie die Baracke war, so breit wie das Zimmer, aber höher, waren die Leichen aufgestapelt. Die wurden da abgeholt, mit Lastwagen zu den Krematorien hin. Der Gestank .... Kannst du dir das vorstellen?
Ich war ja nur knapp vier Wochen da, dann bin ich in das Hauptlager gekommen, nach Auschwitz. Ich habe gedacht, jetzt ist es vorbei, jetzt schaffst du es nicht mehr. Da mußten wir große Kisten - mit Tragegriffen - , die voll mit Sägemehl waren, transportieren. Das ging hin und her, hin und her.
Oben, im dritten Stock vielleicht, hat der Lagerkommandant gestanden und hat aufgepaßt, ob jemand nicht mehr konnte. Wer mal abgesetzt hat, ... Kopfschuß. Kopfschuß. Der mit mir getragen hat, konnte nicht mehr: Kopfschuß. Da habe ich gedacht, allein schaffst du es nicht. Jetzt ist alles vorbei. Aber der Oberkapo kam mit dem nächsten, der dann helfen mußte. Du kannst dir vorstellen, wie wir gelaufen sind, damit wir nicht erschossen werden.
Das Gespräch mit Heinz Strauß, Jahrgang 1925, wurde am 3. März 1995 geführt.
S. 99-100
Und dann ging’s Lagerleben los.
Morgens früh aufstehen. Zivilkleider hatte man uns abgenommen, die haben uns andere Fetzen gegeben. Und von wegen warme Kleidung. Es war März, als wir dort ankamen. Es war ja noch kalt. Keine Strümpfe. Keine gescheite Unterwäsche. Holzpantinen. Zum Teil haben wir als Steinträger bei der SS-Unterkunft gearbeitet. Mit einfachen Tragen aus Holz wurde zu zweit Steine getragen. Steine tragen hieß, Steine von da nach dort zu tragen, dann hingeschmissen. Was mit den Steinen passierte, weiß ich nicht. Dann haben wir bei der SS-Unterkunft zwei Meter tiefe Gräben ausgehoben. Ich war dort mit meinen zwei anderen Schwestern.
Wir waren ein Jahr dort bis April 1944. Wir standen schon dreimal vor der Vergasung. Da hieß es in die Blöcke. Alles zu. Vorn und hinten wurde alles abgesperrt. Zum Teil hatten sie Blöcke ausgeräumt und dann wurde das wieder abgeblasen. Warum? Ich weiß es nicht. Wir wurden dann in Auschwitz, was die jugendlichen, gut aussehenden, noch kräftigen Menschen anging, ausgesucht - und dann ging es ab auf Transport. Wir wurden nach Ravensbrück geschickt.
S. 101
In Ravensbrück waren wir dann sechs Wochen in Quarantäne wegen Typhusgefahr. Dort hat man dann weitere Untersuchungen angestellt, und da hat sich herausgestellt, dass ich im sechsten Monat schwanger war. Meine zwei Schwestern wurden nach Altenburg weitergeschickt, ins Munitionslager. Ich durfte nicht mit. Mir haben sie das Kind geholt, im sechsten Monat. Mir haben sie zuerst Spritzen gegeben, Wehenspritzen, aber es hat sich nichts gerührt, und dann wurde ich abends in den OP gebracht, dann bekam ich Spritzen, dann war ich weg, und als ich wieder zu mir kam, war das Kind auch weg.
Und als das alles vorbei war, kam ich nach Graslitz im Sudetenland. Das war gegen Ende Mai, es kann aber auch schon Juni gewesen sein, wegen der sechs Wochen Quarantäne. Dann kamen wir noch nach Zotau, das war so eine Durchgangsstation, und dann nach Graslitz. Und auf dem Adolf Hitler seinem Geburtstag, das war der 20. April, da hat man uns in Marsch gesetzt. Da hat es geheißen, das Lager wird aufgelöst, aber wir hörten ja schon munkeln von den deutschen Ingenieuren, mit denen wir zusammengearbeitet haben, [...] Wir haben da Zwangsarbeit gemacht für die Firma Hagenfelde Berlin, Flugzeugersatzteilwerk. Da wurden wir gefragt, was wir daheim gemacht hatten. Und bei der Firma Weissensee habe ich als Dreher gearbeitet. Ich habe an der Presse gearbeitet, ich stand an der Bohrmaschine. Ich kannte mich also aus. Dann habe ich dort einen Lehrgang mitgemacht. Und dann hatte ich die Drehbänke unter mir, wie ein Meister. Und da, von den Ingenieuren, die noch da waren, hat man immer mal was läuten hören, dass das alles bald vorbei wäre. Die Amis stünden dort und dort.
In Graslitz waren gefangene Französinnen, die aber in einem anderen Lager waren. [...] Das Schlimmste war die Aufseherin, vor allem war eine dabei, die wir „Fieseler Storch“ genannt haben, weil sie so langbeinig und dünn und dürr war - das war eine Missgeburt, wie sie im Buch steht. Der eigentliche Leiter - so ein kleiner dicker Stöpsel - war nicht so schlimm. Er hat uns vor dem Marsch gesagt: „Weglaufen ist erlaubt, aber erwischen lassen ist verboten, das merkt euch“. Die Aufseherin, das lange Gestell, wollte uns in Graslitz lassen. Die wollte uns in der Fabrik lassen und hätte es zugelassen, wenn wir dort bombardiert worden wären; es war ja eine Waffenfabrik. Wir haben sie gefragt, ob sie das auf ihre Seele nehmen könnte, zum guten Schluss. Sie hat dann nachgegeben. Wir haben uns mit Kartoffeln, die für die Schweine waren, versorgt. Wann haben wir sonst mal Kartoffeln gekriegt? Zwei Jahre habe ich keine Kartoffeln gekannt, nur Steckrüben.
Das war eine Fabrik, und in der Fabrik waren wir untergebracht. Insgesamt waren wir etwa 600 Frauen.
Das Gespräch mit Amailie Gutermuth, Jahrgang 1919, wurde im September 1994 durchgeführt.
Buchenwald
Wie etwa eintausend andere Sinti und Roma wurde Heinz S. Mitte April 1944 von Auschwitz nach Buchenwald oder Ravensbrück zum Arbeitseinsatz transportiert.[1]
Ich bin dann nach Buchenwald gekommen. Auf dem Transport fragte ich herum: „Wo ist die Mama?" „Ist tot." Die hat Kopftyphus gekriegt und daran ist sie dann gestorben. „Wo sind die Mädels? Mein Vater?" „Dein Vater lebt, der ist weggekommen, aber ich weiß nicht wo." Aber die wollten immer noch nicht raus, ich hab`s gemerkt, das da was nicht stimmte. „Die Kleine ist auch tot." „Wo ist die andere?" Meine Schwester haben sie bis nach Ravensbrück gebracht. Da haben sie ihr eigenes Grab schaufeln müssen und lebendig haben sie sie verbrannt. Alle. Mit Flammenwerfern.
Appell
Tausende von Menschen mußten sich auf dem großen Platz aufstellen. Wir mußten uns alle nackt ausziehen. Ein SS-Mann kam und sagte: „Die nicht tätowiert sind nach links. Die können sich anziehen. Die Tätowierten nach rechts." Er ritt durch die Reihen und sagte: „Links, links, .... Du rechts! Ich wurde nach links aussortiert. Die anderen habe ich nie wieder gesehen. Einige sagten: „Dieses Mal war er ja noch human. Er hat ja nur wenige mitgenommen."
Aber als seine Frau kam, hat das ganze Lager gebebt, vor allem, die tätowiert waren. Manche haben sich gleich erhängt. Die anderen mußten wieder nackt heraus. In einem Meter Abstand ist durch die Reihen gegangen mit ihrer Reitpeitsche in der Hand. Sie trat Männer zwischen die Beine und hunderte von Männern, die gut tätowiert waren - gemeint sind hier nicht die eintätowierten KZ-Nummern - nahm sie heraus. Aus ihrer Haut hat sie - wie ich jetzt weiß - Handtaschen oder Lampenschirme machen lassen.
Dora
Auf dem Transport nach Dora wurde gesagt: „Alle, die Maurer sind, vortreten." "Die Musiker sind, vortreten." "Die Tänzer sind, vortreten." Und dann fragten sie: „Gibt es welche bei euch, die Fliesenlegen können." Da habe ich gedacht, jetzt melde dich schnell. Ich habe mich gemeldet, aber ich war`s gar nicht. Da ich früher auf dem Bau gearbeitet habe, habe ich mich einfach gemeldet. Ich mußte dann in einer SS-Baracke Platten legen. Häftlinge fuhren das Material hin. Zuerst habe ich alles plan gemacht und dann die Platten verlegt. Als ich mitten bei der Arbeit war, kamen SS-ler und haben mich mit Steinen beworfen. Einige trafen mich, aber ein Stein ist in die Fensterscheibe geflogen. Der Rapportführer ist gekommen und hat mich dann - ohne ein Wort zu sagen - zusammengetreten. Dann fragte er mich: „Warum hast du die Scheibe kaputt gehauen?" „Ich war`s nicht,“ habe ich noch gesagt. „Das waren die SS, die haben nach mir geschmissen. Da ging dann ein Stein ins Fenster." „Ach, lügen willst du auch noch? Also, runter auf den Bock." Dann haben sie mich geschlagen. [...] In der SS-Baracke, da war ein alter oder älterer Herr. Er kam von der Flak. Der hat gesehen, was die SS-ler mit mir gemacht haben. Er ist zum Hauptscharführer hingegangen und hat gesagt: „Ich habe gesehen, daß es der und der war." „Wollen Sie den Mann schützen?" „Der Mann ist unschuldig. Er hat seine Arbeit gemacht. Und wie sauber. Warum ist er jetzt geschlagen worden? Die haben doch mit Steinen geschmissen." „Naja, gut, wir sprechen uns."
Ungefähr nach vierzehn Tagen kam einer und sagte: „Der arme Mann, der Alte, hat sich aufgehängt. Er hat einen Zettel hinterlassen: er will nie Deutscher sein." Denn diese Schweinerei, die er da gesehen hat, daß Leute so mißhandelt wurden, waren zuviel für ihn. An seinen Hosenträgern hat er sich aufgehängt.
Eine ganze Zeit war ich da am Arbeiten, ... Ich hörte: „Heinz". Mich konnte ja keiner meinen, aber die Stimme kam mir so bekannt vor. Wieder: "Heinz. Puhls-Heinz." Der Platz (in Cölbe), der hieß Pfuhl. Ich drehe mich um und - es war mein Schulkollege. Er war nach Dora abkommandiert, und ich sagte nur zu ihm: „Jetzt siehst du mal wirklich, was los ist. "
Das Wiedersehen mit dem Vater
Von Buchenwald kam ich nach Ellrich, Nordhausen. Da habe ich bei der Arbeitsstelle, so Loren schieben müssen. Dort habe ich einen guten Freund getroffen. „Ach, du bist hier. Dein Vater ist bei mir im Kommando." „Ach", habe ich gesagt, „hol` ihn doch." „Paß` auf. Morgen Mittag, da, wo wir jetzt sind, da bringe ich ihn hin.“
Am nächsten Tag ging ich hin und ich habe dann zwar einen Mann stehen sehen. Ich war vielleicht drei bis vier Meter von ihm entfernt. Ich habe meinen Vater nicht erkannt. Ich habe ihn nicht mehr erkannt. Er war nur noch so ein Skelett. Ich habe ihn erst wiedererkannt, als ich seine Hände sah. Nur an seiner Hand habe ihn erkannt. Ich bin ihm um den Hals gefallen. Er hat mich nicht erkannt, und ich hatte ihn nicht erkannt. Das will was heißen. Und da sagen die Leuten, wir hätten nichts mitgemacht. Und trotzdem sind wir wieder hier her, von wo wir weggekommen sind. Denn wir haben gesagt, einige können nichts dafür. Die anderen haben sich dünn gemacht, wie sie gehört haben ...[1] In der Ausstellung in Buchenwald kann man seinen Namen auf einem der Exponate „Einlieferungsliste der Zigeuner aus Auschwitz“ finden.

Seit dem Frühjahr 1945 wurden große Teile Deutschlands von den alliierten Truppen besetzt und damit vom Nationalsozialismus befreit. Die in den Konzentrationslagern gefangen gehaltenen Häftlinge, darunter auch Sinti und Roma, mussten in dieser Phase des Krieges noch damit rechnen, auf den sogenannten Todesmärschen ermordet zu werden. Ab April 1945 kehrten die Sinti und Roma soweit wie möglich in ihre Heimatstädte zurück, oder wenn sie ihre unmittelbaren Familienangehörigen verloren hatten, zu Verwandten oder Freunden. Zwischen Mai und August 1945 waren die Zielorte in der Regel erreicht. Nun galt es für die einzelnen Sinti und Roma und ihre Familien das Leben neu zu organisieren, denn sie waren nicht nur in die Vernichtungs- und Arbeitslager verbracht worden, auch ihr Hab und Gut war vor Ort bei ihrer Rückkehr nicht mehr vorhanden, nicht mehr auffindbar, zerstört oder auch verkauft. Viele Sinti und Roma standen vor dem Nichts. Hilfe erhielten sie von antifaschistischen Komites, die vor Ort tätig waren.
Aber es zeigte sich bald, dass trotz der Befreiung vom Nationalsozialismus der Antiziganismus noch weit verbreitet war. Bei den Behörden wurden die überlebenden Sinti und Roma zum Teil wiederum erfasst. Als Kennkarten dienten bei der Stadt Fulda zum Beispiel die nunmehr nicht mehr benötigten Karten für die „Fremdarbeiter aus Sowjetrußland“. Statt mit einer Ausweisnummer wurden die Karten mit dem Kürzel „Zig.“ versehen. In Bayern wurde die „Zigeunerdatei“ der Kriminalpolizei als „Landfahrerkartei“ weitergeführt. Die tätowierte Auschwitz-Nummer wurde bei Überlebenden des Völkermordes in dieser Datei aufgenommen.„Wiedergutmachung“ und Entschädigungspolitik
Nach der Sicherung der Existenz ging es ab 1946 auch um Entschädigung und um Wiedergutmachung. Die im Nationalsozialismus Verfolgten mussten hessenweit einheitliche Fragebögen ausfüllen. Die Kriterien des Grades und der Art der Verfolgung rückten in den Mittelpunkt, was sich für Zwangssterilisierte, aber auch für Sinti und Roma negativ auswirkte, weil bei vielen vermerkt war, dass sie auf Grund von "Asozialität" in Konzentrationslager verbracht worden waren. Nach der Verabschiedung des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) veränderten sich die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen zum Teil weiter zu Ungunsten der als „Zigeuner” verfolgten Menschen. Sie mussten immer wieder größte Hindernisse überwinden, um ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen. Dies gelang ihnen zum Teil erst in den 60er, zum Teil sogar erst in den 80er Jahren.
- In Hessen - und wohl auch in anderen Bundesländern - wurden Sinti und Roma - anders als Juden - nach 1946 nicht mehr als rassisch Verfolgte anerkannt. Sie mussten ihre berechtigten Ansprüche im Einzelfall vor Gericht erstreiten.
- Nach 1946/47 hatte Sinti und Roma wieder verstärkt mit Diskriminierungen zu leben.
- Behörden griffen zum Teil bis in die 1950er Jahre bei der Erfassung und Abschiebung auf Gesetze zurück, die während des Nationalsozialismus formuliert worden waren.
Was zunächst noch im Einzelfall als traditionell antiziganistische Diskriminierung bezeichnet werden kann, weitete sich in der Entschädigungs- und Wiedergutmachungsfrage nach 1952 zum Skandal aus, weil zum Beispiel die Polizeimaßnahmen gegen Sinti und Roma während des Nationalsozialismus ihres rassistischen Gehalts beraubt wurden. Das heißt, Sinti und Roma galten demnach als zu Recht - wenn auch hart – bestraft. Der Skandal wurde noch größer, weil Gutachter im medizinischen Bereich zum Teil identisch waren mit denen, die vor 1943 mitgeholfen hatten, Sinti und Roma zu erfassen. Entsprechendes gilt für die Kriminalbeamten.
Bürgerrechte
Der Skandal um die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus und die anhaltende Diskriminierung von Sinti und Roma in der Bundesrepublik waren Ausgangspunkte für vor allem jüngere Vertreter der Sinti und Roma, gegen die Missstände zu protestieren. Sie organisierten ihre Interessen und gründeten u. a. Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre die Verbände Deutscher Sinti und Roma, die im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zusammengeschlossen sind. Menschenrechtsfragen und die Anerkennung des Völkermordes durch die Bundesrepublik Deutschland standen zunächst im Mittelpunkt. Es gelang zum Beispiel in Hessen, die Lage Überlebenden des Völkermordes durch Anerkennung durch das Bundesentschädigungsgesetz und den Hessischen Härtefonds zu verbessern.
Schreiben des Hessischen Innenministeriums auf Anweisung der amerikanischen Militärregierung an die Regierungspräsidenten, den Runderlass des Reichsführers SS vom 8. Dezember 1938 (so genannter "Grunderlass"), der eine vollständige Erfassung der Sinti und Roma vorschrieb, nicht mehr anzuwenden, 3. März 1947
Das Schreiben wurde 22. März 1947 an die Landräte und Oberbürgermeister weitergeleitet.
S. 142-143
In Cölbe sind wir wieder gut aufgenommen worden. Die Leute haben sich gefreut. Die haben gesagt, sie haben das nicht gewußt. [...] Viele sind bei der Entnazifizierung in Sachen geraten, die sie gar nicht gemacht haben. [...] Wir haben lange in Cölbe gewohnt. Wir mußten unsere Wohnung dann räumen, als die Apotheke in das Haus kam. Die Amerikaner haben uns eine Wohnung am Weißen Stein zugewiesen. [...]
Ich habe dann mit der Schaustellerei begonnen. Meinen Beruf als Dachdecker konnte ich nicht mehr ausüben, denn ich hatte eine schwere Operation durchgemacht: eine Strumaoperation. Die Schilddrüsen hingen bis zur Brust. Ohne richtige Narkose bin ich operiert worden, weil das Herz zu schwach war. Professor Witthoft hat mich dann operiert, und ich habe auch das überstanden. Zuerst habe ich so einen „Hau den Lukas" gebaut. Mit dem habe ich angefangen. Mein Vater hat sich einen Schießwagen geholt und ein kleines Karussell. Dann sind wir auf die Feste.
Ich muß sagen, ich kannte etliche gute Leute, die Verständnis für uns gehabt haben. Die Firma Felden, die hat uns bei allem geholfen. Die Behörde hat dann freigegeben: die Bezugsscheine für Holz, Nägel und alles, was wir gebraucht haben. Der Schreiner Werner in Cappel hat uns die Wagen gebaut. Der hat dann gesagt: „Bezahlen tut ihr, wenn das was abwirft." Auch der Felden. „Nehmt mit, was ihr braucht. Wenn`s geht bezahlt ihr`s, wenn nicht, ist es auch gut." Wir haben immer bezahlt. Wir haben uns nichts schenken lassen.Wir haben uns wieder hochgearbeitet Das erste KZ-Geld kam 1950, vielleicht auch 1952. Ich habe mir ein großes Karussell gekauft, einen großen Flieger. Den Flieger habe ich meinem Vater gegeben, denn ich war immer noch zufrieden mit dem, was ich selber erarbeitet hatte. Später hat mir mein Vater das Karussell wieder zurückgegeben. Hier und da hatten wir auch Pech, aber meistens lief es recht gut. Überall bin ich hingekommen und war dort auch willkommen. Für uns waren immer die Türen offen. [...]
Ich will dir mal ein Beispiel sagen. Ich hatte vorgehabt von hier wegzuziehen, weil ich Schwierigkeiten hatte, mit einem Wagenplatz für meine Karussellsachen. Ich weiß nicht, wer das weiter erzählt hat. Das ging bis zur Polizei, bis zur Kripo. Da hat der Chef von der Polizei mich kommen lassen, hat gesagt: „Strauß, ich hab` gehört, Sie wollen soundso ... Marburg verlassen. Was haben Sie für einen Grund?" Erst einmal war ich ganz sprachlos, weswegen der fragte und woher er das wußte. „Ich habe Probleme mit dem Wagenplatz", habe ich ihm gesagt. „Wenn das allein der Grund ist, Herr Strauß, werde ich dafür sorgen, daß das geklärt wird." Er hat mir aber auch die Augen geöffnet. „Herr Strauß, hier wissen wir, wer Sie sind. Und hier sind Sie ein angesehener Bürger. Wenn Sie aber woanders hinziehen, da werden Sie mit einem anderen Auge betrachtet." Ich bin hier geblieben.
Das Gespräch wurde am 3. März 1995 aufgezeichnet.
Foto (aus einem Film) von der Verleihung der Golden Ehrennadel an Heinz Strauß durch den Marburger Oberbürgermeister Moeller, 18. April 2002 im Marburger Rathaus.
Heinz Strauß wurde die Ehrung zuteil, weil er sich für die Versöhnung eingesetzt hatte.