
Die Novemberrevolution 1918/19 in Hessen
von Roland Müller
"Arbeiter und Soldaten! Ungeheure Umwälzungen vollziehen sich! (...) Die Abdankung des Kaisers ist stündlich zu erwarten! (...) Wir fordern euch auf, in Waffen zu erscheinen, inzwischen aber eiserne Ruhe zu bewahren und unseren Anordnungen unbedingt Folge zu leisten." So lautete der Aufruf der Vorstände von Sozialdemokratischer Partei (SPD), Unabhängiger Sozialdemokratischer Partei (USPD) und Gewerkschaften zum "Casseler Demonstrationstag" am 9. November 1918, um 2 Uhr mittags auf dem Friedrichsplatz. Das klingt schon nach Revolution, aber auch nach viel Bedacht. Hessen wurde kein Impulsgeber der Revolution, aber ihre Probleme, der Streit innerhalb der Arbeiterbewegung und der Revolutionäre mit den bestehenden Einrichtungen, dies spiegelt sich auch hier.
Das heutige Hessen bestand vor der Revolution im Wesentlichen aus der preußischen Provinz Hessen-Nassau mit den Städten Kassel, Marburg, Hersfeld, Fulda, Frankfurt, Wiesbaden und Hanau sowie dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt, zu dem auch Offenbach, Gießen und der Vogelsberg zählte. Erstere Provinz blieb, was sie war, aus dem Großherzogtum wurde der Volksstaat Hessen. Mit "Volksstaat" ist keine Eigenstaatlichkeit gemeint, der Begriff betont, dass nunmehr an Stelle eines Fürsten das Volk Souverän in diesem Gebiet ist, das Gebiet republikanisch organisiert ist, so wie heute das Land Hessen innerhalb der BRD. Das muss betont werden, weil es tatsächlich Abspaltungsbewegungen innerhalb der von Frankreich besetzten Gebiete gab. In Wiesbaden wurde zweimal (1919 und 1923, jeweils rasch erfolglos) die Rheinische Republik ausgerufen.
Die Machtübernahme der Räte wurde in den meisten hessischen Orten von Außen und ohne von der Waffe Gebrauch zu machen durch herbeigereiste revolutionäre Matrosen angestoßen; in Darmstadt begann sie im ständischen Landtag mit einem Antrag zur Einführung der Republik und in Hanau eskalierte eine Stadtverordnetenversammlung.
Die Räte fungierten als eine Art Aufsichtsorgan, dass sich seine Gestaltungs- und Ordnungsmacht mit den fortbestehenden Staatsorganen teilte: Verwaltung, Polizei, Militär und Gerichte blieben in der Regel auch personell völlig unangetastet. In Hanau, wo der mit USPD-Mehrheit geführte Arbeiter- und Soldatenrat etwas weiter ging, den Landrat in seinen Kompetenzen einschränkte, die Presse übernahm und eine eigene Polizeitruppe aufstellte, wurde er von der Regierung blutig aufgelöst.
Im Dezember 1918 stimmte der Rätekongress seiner Selbstentmachtung zu Gunsten einer parlamentarischen Ordnung zu, allerdings verlangte er neben der verfassungsmäßigen Installierung von Betriebsräten umfangreiche Sozialisierungen. Denn als ursächliche Kriegstreiber wurden die Großagrarier, die Bergwerksbesitzer und die Industrieellen insbesondere der Schwerindustrie betrachtet. Die einen, weil sie sich über eine gewaltsame Aneignung die Mehrung ihres Besitzes versprachen, die anderen weil sie unmittelbar am Krieg verdienten und im Falle des Sieges Konkurrenten ausschalten, ihre bestehenden Monopole also auf einen größeren Markt ausdehnen konnten. Die private Gewinnaneignung als vorherrschende Wirtschaftsweise wurde als eine Kriegsursache identifiziert und zumindest ihre Einhegung verlangt.
Die Weimarer Verfassung widmet der Wirtschaft einen eigenen längeren Abschnitt mit viel Text, aber wenig greifbarem Inhalt. Wie enttäuschend das zeitgenössisch gewirkt haben muss, wird deutlich, wenn man sich dagegen den gleichen Abschnitt in der Hessischen Verfassung von 1946 anschaut. Wieder mussten Konsequenzen aus einem Krieg gezogen werden, und sie sollten in umfangreichen Vergesellschaftungen von Bodenschätzen und Produktionsmitteln bestehen. Sie blieben aus, weil so etwas der Bund zu regeln hat, und bis zum Grundgesetz 1949 war das Zeitfenster für grundsätzlichen Wandel bereits geschlossen. Das Grundgesetz bleibt in seinen Bestimmungen zur Wirtschaft sogar noch weit hinter der Weimarer Verfassung zurück.
Der November-Revolution gelang es, die Monarchie und die Fürstenherrschaft zu beenden sowie die gesetzgebende Gewalt in Form des Parlamentarismus und der Möglichkeit von Volksentscheiden zu demokratisieren (mit der Einführung von Verhältniswahl und Frauenwahlrecht sogar beispielgebend). Die Wirtschaft musste den Acht-Stunden-Tag und die Aussicht auf die Mitsprache von Betriebsräten hinnehmen.
Es gab noch Versuche, die Revolution weiterzutreiben. Zuletzt nach der erfolgreichen Abwehr des Kapp-Putsches 1920. Hessen erlangte dabei nur reaktionär Bekanntheit: Marburger Studenten ermordeten im aufbegehrenden Thüringen 15 Arbeiter. Dieser straflos gebliebenen Niedertracht widmete Kurt Tucholsky sein Gedicht "Marburger Studentenlied".
Die Dokumentenzusammenstellung sowie die Einführungen in die jeweiligen Räume gehen auf die Ausstellung "Revolutionärer Aufbruch 1918/19 in die Demokratie" zurück, die zum 100. Jahrestag der Novemberrevolution in hessischen Staatsarchiven zu sehen war. Einige Dokumente kamen aus einer ergänzenden Ausstellung des Marburger Staatsarchivs hinzu. Die Texte wurden gekürzt und ihre Anordnung wurde verändert. Autoren sind: Dirk Petter (Raum 1, 2, 2a, 2b und 2c), Johann Zilien (Raum 2d und 2e), Klaus-Dieter Rack (Raum 2f), Andreas Hedwig (Raum 3) und Karl Murk (Raum 4 und 5).
Literatur:
Hedwig, Andreas (Hg.): Zeitenwende in Hessen: Revolutionärer Aufbruch 1918/19 in die Demokratie. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung des Hessischen Landesarchivs, Marburg 2019
Mühlhausen, Walter: Hessen in der Weimarer Republik. Politische Geschichte 1918-1933, Wiesbaden 2021
- Kriegsende und Revolution von oben
Als im November 1918 die Waffen schwiegen, hatten die am Ersten Weltkrieg beteiligten Mächte mehr als 15 Millionen Tote zu beklagen. Insbesondere nach Erstarrung der Front im Westen im Herbst 1914 hatten sich die Soldaten der Entente einerseits und der Mittelmächte andererseits in jahrelangen zermürbenden Stellungskriegen gegenübergestanden, so etwa in den Schlachten um Verdun, an der Somme und in Flandern. Die zigtausendfache Vernichtung menschlichen Lebens und die totale Zerstörung ganzer Landstriche waren der Preis für Geländegewinne von oftmals nur wenigen Metern.
Im Deutschen Reich wurde die Versorgungslage zwar zunehmend schwieriger, von den Schreckensszenarien des Frontalltags war jedoch nur wenig zu spüren. Ganz im Gegenteil: Die kaiserliche Propagandamaschinerie zeichnete trotz aussichtsloser militärischer Lage bis zuletzt das glorreiche Bild eines „Siegfriedens“. Der finale Schlag gegen den Feind – so wurde noch kurz vor Kriegsende in den offiziellen Bekanntmachungen suggeriert – sei nicht mehr fern.
Spätestens nach der gescheiterten deutschen Frühjahrsoffensive 1918 und den anschließenden Erfolgen der Alliierten im Westen brach sich allerdings bei den führenden Militärs die Erkenntnis Bahn, dass der Weltkrieg für das Deutsche Reich verloren war. Ende September 1918 legte die von Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff geführte Oberste Heeresleitung (OHL) Kaiser Wilhelm II. und der Reichsregierung die militärische Lage dar. Die Konsequenzen, die hieraus gezogen wurden, waren weitreichend: Um Unruhen im Innern zu vermeiden, setzten die Spitzen des Kaiserreichs auf eine rasche „Revolution von oben“. Erstmals erhielt das Deutsche Reich eine durch den Reichstag getragene Regierung. Die Mehrheitsparteien – darunter die katholische Zentrumspartei, die linksliberale Fortschrittliche Volkspartei und die Sozialdemokraten –, die seit vielen Jahren eine Demokratisierung der obrigkeitsstaatlichen Strukturen gefordert hatten, konnten sich mit der Situation auch deswegen arrangieren, weil der designierte Reichskanzler Prinz Max von Baden als reformorientiert und sozial eingestellt galt.
Anfang Oktober 1918 war die neue Reichsregierung bereits im Amt und fand sich durch die mit einiger Berechnung agierende OHL nun in die unvorteilhafte Lage gedrängt, Waffenstillstandsverhandlungen aufnehmen und anstatt der militärischen Führung die Verantwortung für den Kriegsausgang übernehmen zu müssen. Aus einem Notenwechsel mit dem US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson resultierte, dass die Alliierten als Vorbedingung für die Aufnahme von Verhandlungen nicht nur die Schaffung demokratischer Strukturen im Deutschen Reich, sondern indirekt auch das Abtreten des Kaisers einforderten. Ersteres wurde durch eine umfängliche Verfassungsänderung realisiert, die das Kaiserreich Ende Oktober zu einer parlamentarisch-demokratischen Monarchie machte. Letzteres folgte angesichts der sich überstürzenden Ereignisse im Innern nur wenige Tage später: Am 9. November 1918 verkündete Reichskanzler Max von Baden die Abdankung Wilhelms II.
Die Unterzeichnung des Waffenstillstands durch Vertreter der Reichsregierung – nicht des Militärs – am 11. November 1918 bei Compiègne und die sich damit manifestierende Kriegsniederlage Deutschlands stellten aus Sicht weiter Teile der Bevölkerung eine nur schwer verdauliche Wahrheit dar.
Das „Gedenkblatt für die Angehörigen unserer gefallenen Helden“ wurde durch Wilhelm II. Anfang 1915 per Kabinettsorder beauftragt und durch den Grafiker Emil Doepler als Farblithografie ausgeführt. Der Monarch selbst wählte den Bibelspruch, der als Überschrift dient. Starb ein deutscher Soldat im Kriegseinsatz, wurde das Gedenkblatt den nächsten Angehörigen als Erinnerung und um den „Dank des Vaterlandes“ auszudrücken, zugesandt oder überbracht. Die Darstellung eines Engels, der einem am Boden liegenden toten Soldaten einen Eichenzweig darreichte, stilisierte das grausame Massensterben an der Front zu einem heroischen Akt, der religiös überhöht und legitimiert wurde. Die Gedenkblätter hingen ab 1915 in zahlreichen deutschen Wohnstuben, mögen den Familien der Getöteten aber kaum mehr als ein schwacher Trost gewesen sein.
Schüleraufgabe: Erstellen Sie bitte eine Bildinterpretation und schildern Sie den zeitgenössischen Zweck dieser Gedenkblätter.
Das Werbeplakat zur Zeichnung von Kriegsanleihen bediente sich der großen Popularität Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg, um den seit Kriegsbeginn ein beispielloser Personenkult entstanden war.
Das Werbeplakat für die Zeichnung der 8. Kriegsanleihe reiht sich nahtlos in die offizielle Rhetorik der letzten Kriegsjahre ein. Der Tag des Sieges – so wurde dem Betrachter vermittelt – stünde unmittelbar bevor.
Das Deutsche Reich finanzierte einen erheblichen Teil seiner Kriegskosten über Anleihen. Zwischen 1914 und 1918 gab die Reichsregierung neun Kriegsanleihen aus, die mehr als die Hälfte der Kosten deckten. Die Zeichnung der Anleihen durch die Bevölkerung wurde mittels Zeitungsaufrufen und öffentlichen Aushängen massiv beworben.
Der Hartmannswillerkopf (frz. Vieil Armand) ist eine Bergkuppe in den Südvogesen, die aufgrund ihrer strategischen Lage im Ersten Weltkrieg zwischen Deutschland und Frankreich besonders hart umkämpft war. Nach Beginn der Kämpfe um den Gipfel Ende 1914 wechselte die Bergkuppe im Verlauf des Krieges viermal den Besitzer. Ab 1916 fanden hauptsächlich Artilleriegefechte statt. Beide Seiten versuchten, ihre Stellungen zu halten. Am Hartmannswillerkopf, der später auch als „Berg des Todes“ oder „Menschenfresser“ bezeichnet wurde, ließen etwa 30.000 französische und deutsche Soldaten ihr Leben. Doppelt so viele wurden verletzt.
Das den „braven Kameraden der 3ten Armee“ gewidmete Bild des Deutschen Kaisers zeigt Wilhelm II. in Armeeuniform mit Pickelhaube im Feld, Ausdruck seiner Funktion als Oberster Kriegsherr des Deutschen Reiches. Zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes im Jahr 1916 hatte der angesichts der Komplexität des Kriegsgeschehens zunehmend überforderte Kaiser allerdings die relevanten militärischen Entscheidungen bereits weitgehend der Obersten Heeresleitung überlassen. Ihre Befugnisse weiteten sich in der zweiten Kriegshälfte derart, dass diese Phase als „stille Diktatur“ der OHL bezeichnet worden ist. Nach der gescheiterten deutschen Frühjahrsoffensive 1918, den Erfolgen der Alliierten im Westen und mehreren diplomatischen Noten des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, in denen der Kaiser indirekt als Hindernis für die Aufnahme von Friedensverhandlungen beschrieben wurde, wuchs der Druck auf den Monarchen zusehends. In Anbetracht der sich überstürzenden revolutionären Ereignisse im Innern verkündete Reichskanzler Max von Baden am 9. November 1918 die Abdankung Wilhelms II., der tags darauf ins niederländische Exil übersiedelte. Dort starb er im Juni 1941.
- Revolution und Rätebewegung
Ende Oktober 1918 befahl die Seekriegsleitung der deutschen Hochseeflotte einen letzten Angriff auf die Schiffe der britischen Marine im Ärmelkanal – ein angesichts der militärischen Lage sinnloses und für die Schiffsbesatzungen Tod bringendes Unterfangen, das ohne Wissen der Reichsregierung geplant worden war. Der Flottenbefehl wurde durch große Teile der Mannschaften verweigert, die zudem durch Sabotageakte mehrere Schlachtschiffe am Auslaufen hinderten und den Angriffsplan hierdurch zu Fall brachten. Als die Seekriegsleitung mehr als 1.000 der meuternden Matrosen verhaften und in Wilhelmshavener und Kieler Militärgefängnisse verbringen ließ, führte dies binnen Kurzem zu einer „Revolution von unten“.
In Kiel entwaffneten die Matrosen ihre Offiziere, zwangen den Militärgouverneur, die verhafteten Meuterer freizulassen, brachten neuralgische Punkte in der Stadt unter ihre Kontrolle und wählten nach russischem Vorbild am 4. November Soldatenräte. Nach Solidarisierung der Kieler Werft- und Industriearbeiter und unter Beteiligung der beiden sozialdemokratischen Parteien SPD und USPD wurde dort noch in der Nacht auf den 5. November ein „Provisorischer Zentraler Arbeiter- und Soldatenrat“ als neues Machtorgan gebildet.
Von Kiel ausgehend wurde zunächst Norddeutschland, anschließend das gesamte Reich von einer revolutionären Welle erfasst, an deren Ende von SPD und USPD getragene Räte die Macht übernahmen. Das alte monarchische System zerbrach. Nachdem Reichskanzler Prinz Max von Baden am 9. November den Verzicht von Kaiser und Kronprinz auf den deutschen Kaiserthron und den preußischen Königsthron verkündet hatte, übertrug er das Reichskanzleramt dem SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert. Noch am selben Tag riefen der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Reichstagsgebäude die „deutsche Republik“ und der Unabhängige Sozialdemokrat Karl Liebknecht vom Berliner Schloss die "sozialistische Republik" aus.
Im Laufe der ersten Novemberhälfte wurde auch das Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen von den revolutionären Umwälzungen erfasst. Initiiert von durchziehenden Matrosen oder durch lokale Kräfte angestoßen, bildeten sich allenthalben Arbeiter- und Soldatenräte, die – zumeist ohne Anwendung von Gewalt – die Kontrolle vor Ort übernahmen. Im nördlichen Teil der damaligen preußischen Provinz Hessen-Nassau mit der Hauptstadt Kassel orientierten sich die Räte im Wesentlichen an der politisch gemäßigten Linie des von den Mehrheitssozialdemokraten dominierten Rates der Volksbeauftragten bzw. der Reichsregierung, weniger an den radikaleren und von spartakistischen Ideen beeinflussten Positionen der Unabhängigen Sozialdemokraten. In Kassel selbst entstand ein „Zentraler Arbeiter- und Soldatenrat“, der sich als oberstes Vollzugsorgan der Räte für den gesamten nördlichen Regierungsbezirk etablieren konnte.
In den einzelnen Städten und Landkreisen und auch auf Ebene der Bezirksregierungen bestanden die alten Verwaltungsstrukturen neben den neu geschaffenen revolutionären Gremien allerdings weitgehend bruchlos fort. So bildete sich in den ersten Wochen nach dem Umsturz auf lokaler wie regionaler Ebene vielfach ein zwar konfliktreiches, aber letztlich auch von wechselseitigen Abhängigkeiten geprägtes Nebeneinander von Rätebewegung und alten Strukturen heraus, das ein Charakteristikum der Umbruchphase 1918/1919 darstellt.
Antriebskräfte der Novemberrevolution waren das Streben nach einer tiefgreifenden Demokratisierung, einer Umwandlung des monarchischen Systems in eine republikanische Staatsform sowie – mal mehr, mal weniger prononciert vorgetragen – die Überführung von Schlüsselindustrien in Gemeineigentum.
Nach Etablierung des „Rätesystems“ sahen sich die neuen Kontrollorgane jedoch zuvorderst mit den drängenden tagesaktuellen Aufgaben konfrontiert: Gewährleistung der inneren Sicherheit, Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Heizmaterial, Bekämpfung der Wohnungsnot in den Städten, Demobilisierung der Soldaten und deren Wiedereingliederung in das Wirtschaftsleben. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen waren die Revolutionsgremien, die nicht über das hierzu notwendige Personal verfügten, auf die wilhelminischen Großagrarier und Offiziere, Verwaltungsbeamten, Richter und Polizeiführer angewiesen. Eben jene hätten jedoch von ihren Posten entfernt werden müssen, um eine Demokratisierung von Dauer zu erreichen. Angesichts dieses Dilemmas zwischen einer Vollendung der Revolutionsziele auf der einen und der Bewältigung der aktuellen Problemstellungen auf der anderen Seite folgte die Mehrheit der Räte der Linie des Rates der Volksbeauftragten und gab Letzterem den Vorrang.
So kam es während des Jahres 1919 zu einem oftmals paradox anmutenden Zusammenwirken von Verwaltungsbehörden und revolutionären Organen, nicht zuletzt aufgrund der Frage der Finanzierung der Räte. Da die Mitglieder ihre ursprünglichen Berufe zumeist aufgaben, war für sie von erheblicher Bedeutung, ob und wie entstandene Kosten gedeckt wurden. Nicht nur benötigten die Revolutionäre Mittel, um ihren und den Unterhalt ihrer Familien bestreiten zu können, sondern es waren Anschaffungen von Arbeitsmaterial und das Anmieten von Räumlichkeiten notwendig.
Für die Provinz Hessen-Nassau galt ein Erlass der preußischen Regierung vom November 1918, demgemäß die Kosten der Räte jeweils von der Stelle zu begleichen waren, bei der sie ihre Tätigkeit ausübten. So wurden Räte mit einem städtischen Wirkungsbereich aus den kommunalen Haushalten, Räte auf Ebene der Regierungsbezirke durch die Staatskasse finanziert. Ein Selbstläufer war diese Regelung allerdings nicht. Kosten mussten im Einzelfall durch Belege nachgewiesen werden und wurden bei Weitem nicht immer anstandslos beglichen. Ganz im Gegenteil: Über die Finanzierung und die hierdurch bestehende Abhängigkeit der Räte besaßen Kommunen und staatliche Stellen Möglichkeiten der Einflussnahme und Kontrolle. Somit stieß die konsequente Umsetzung der Revolutionsziele vielerorts an eine Grenze.
Nach der Wahl zur Nationalversammlung wurde die Rätebewegung in Hessen insgesamt merklich schwächer und löste sich ab Frühjahr 1919 schleichend auf, war doch zumindest das wesentliche Ziel der SPD, eine parlamentarische Demokratie, erreicht und die Übergangsstruktur des Rätesystems aus ihrer Sicht nicht mehr notwendig.
Der in die Kamera gehaltene Schriftzug lautet: „Soldatenrat Kriegsschiff Prinzregent Luitpold. Es lebe die sozialistische Republik“.
Am Abend des 4. November 1918 war Kiel in der Hand der Aufständischen. Ein Arbeiter- und Soldatenrat übernahm die Kontrolle. Um die Lage zu beruhigen, entsandte die Reichsregierung den Sozialdemokraten Noske nach Kiel.
Die eigenmächtig von Reichskanzler Max von Baden herausgegebene amtliche Bekanntmachung beendete die Herrschaft Wilhelms II. und zugleich die monarchische Staatsform in Deutschland.
Das Titelblatt der Oberhessischen Zeitung nach Ausrufung der Republik, 11. November 1918
Analog zu den Entwicklungen in der benachbarten Provinz Hessen-Nassau wurde auch in dem von Preußen abhängigen Fürstentum Waldeck und Pyrmont in den ersten Novembertagen 1918 ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, der die Kontrolle vor Ort übernahm. Nur zwei Tage nach Bildung des Rates, am 13. November 1918, wurde der letzte regierende Fürst, Friedrich zu Waldeck und Pyrmont (1865-1946), durch einen aus Kassel angereisten Vertreter des Zentralen Arbeiter- und Soldatenrats des Regierungsbezirks für abgesetzt erklärt. Das bisherige Fürstentum Waldeck und Pyrmont wurde hierdurch ein Freistaat innerhalb der Weimarer Republik.
Aufgabe:
Schätzen Sie bitte die Gestaltungswünsche des Waldecker Arbeiter- und Soldatenrates an Hand seiner ersten Bekanntmachung ein.
Um die beanspruchte Kontrollfunktion ausüben zu können, stellten die Arbeiter- und Soldatenräte eigene Wehren auf, die polizeiliche Aufgaben wahrnahmen und als Erkennungszeichen eine weiße Armbinde trugen.
In Schlüchtern, wo sich am 11. November 1918 ein Soldaten-, Arbeiter- und Bauernrat gegründet hatte, kam es zwischen diesem und dem Landrat Bodo von Trott zu Solz (1879-1934) zu einem tief greifenden Konflikt um die Abgrenzung von Zuständigkeiten und die Frage von Entscheidungsbefugnissen, der um Weihnachten 1918 in der Amtsentsetzung des Landrates durch den revolutionären Rat gipfelte. Erst eine Intervention des sozialdemokratisch geführten Preußischen Ministeriums des Innern, das unter Beteiligung des Zentralen Arbeiter- und Bauernrates Kassel im Februar 1919 eine Aussprache zwischen von Trott zu Solz und Vertretern des Schlüchterner Rates initiierte, konnte die Auseinandersetzung beilegen. Als Ergebnis dessen konnte der Landrat seine Amtsgeschäfte wieder aufnehmen. Ihm wurde jedoch als Kontrollinstanz ein Repräsentant des Soldaten-, Arbeiter- und Bauernrates „beigegeben“.
Der Satz „da wir sonst finanziell in Schwierigkeiten geraten“ wurde im Regierungspräsidium Kassel unterstrichen und mit der aufschlussreichen Randnotiz „umso besser!“ versehen.
Aufgabe:
Schätzen Sie bitte den Gestaltungsspielraum des Arbeiter- und Soldatenrates Hanau an Hand seines Kreditantrages ein. Was müsste sich ändern, um diesen Spielraum zu erweitern?
Der in Opposition zur SPD gegründete Spartakusbund war eine Organisation marxistischer Sozialisten unter Führung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts. Er strebte eine Räterepublik auf Basis der „Herrschaft des Proletariats“ an.
Zwar bestanden in Bayern und einigen Großstädten wie Bremen und Mannheim im Jahr 1919 zeitweilig Rätesysteme, reichsweit aber konnte sich das Vorhaben nicht durchsetzen, sondern stand hinter dem Gegenentwurf einer parlamentarischen Demokratie zurück. Im Regierungsbezirk Kassel war die überwiegende Mehrheit der seit November 1918 entstandenen Räte ebenfalls politisch gemäßigt und orientierte sich an den Vorgaben des von den Mehrheitssozialdemokraten dominierten Rates der Volksbeauftragten bzw. der Reichsregierung. Arbeiter- und Soldatenräte, die mehrheitlich den Positionen der USPD zuneigten oder von spartakistischen Ideen beeinflusst waren, gab es vereinzelt jedoch auch, so etwa in den im Süden des Bezirks gelegenen Städten Hanau, Gelnhausen und Schlüchtern.
Wenige Tage nach dem Kieler Matrosenaufstand erfasste die revolutionäre Woge Kassel. Am Morgen des 9. November 1918 trafen aus Köln kommende Matrosen am Bahnhof ein und entwaffneten den dort stationierten Wachdienst. Nachdem sich die Nachricht von den Ereignissen in anderen Regionen des Reiches unter den Soldaten wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, stellte sich die gesamte Kasseler Garnison hinter die Revolutionäre. Unter Beteiligung von Gewerkschaftern, SPD- und USPD-Mitgliedern wurde nun rasch ein provisorischer Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, dem sich Oberbürgermeister, Polizeipräsident und militärische Führung unterstellten. Bereits wenig später machte das „Casseler Volksblatt“ die Gründung des Rates bekannt, dessen Mitglieder noch am Nachmittag durch eine Volksversammlung auf dem Friedrichsplatz bestätigt wurden. Im Einzelnen setzte sich der Arbeiter- und Soldatenrat aus drei Vertretern der SPD – Georg Thöne, Albert Grzesinski, der den Vorsitz übernahm, und Richard Hauschildt –, zwei Vertretern der USPD – Wilhelm Winter und Karl Eybel – sowie zwei Soldaten zusammen. Eine während der Volksversammlung gefasste Zwei-Punkte-Resolution hielt die ersten Ziele der Revolutionäre fest: Zum einen sollten alle Truppenteile Vertrauensleute der Soldaten wählen, zum anderen forderten sie, Deutschland so rasch als möglich in eine Republik umzuwandeln und umfänglich zu demokratisieren.
Am Abend des 9. November hatte somit die Revolution in Kassel, die schnell und ohne Blutvergießen verlief, die Oberhand gewonnen. Ab dem 10. November stabilisierten sich die Verhältnisse – auch deswegen, weil es in der Stadt zu keiner nennenswerten Amtsenthebung kam. Dies war vor allem der Tatsache geschuldet, dass sozialdemokratische Kandidaten fehlten und eine funktionierende Verwaltung dringend benötigt wurde. Nachdem der Arbeiter- und Soldatenrat als oberstes städtisches Verwaltungs- und Kontrollorgan etabliert war, erklärte er sich am 11. November auch zum „Zentralen Arbeiter- und Soldatenrat“ für den Bereich des Regierungsbezirks Kassel. Regierungspräsident Percy Graf von Bernstorff erkannte die zentrale Funktion des Kasseler Rates am selben Tag an. Beide Seiten, die preußische Verwaltung und der politisch gemäßigte Rat, waren bestrebt, eine weitergehende Radikalisierung der Situation zu vermeiden, Ruhe und Ordnung zu bewahren und zwecks Bewältigung der aus dem Krieg resultierenden gewaltigen Aufgaben zusammenzuarbeiten.
Dass der Zentrale Arbeiter- und Soldatenrat dem auf eine Kooperation mit den alten Eliten des Kaiserreiches setzenden Kurs des Rates der Volksbeauftragten folgte, zeigte sich in geradezu symbolträchtiger Weise am 14. November, als die OHL unter Führung von Hindenburgs nach Kassel verlegt wurde. Nicht nur sicherte Albert Grzesinski der OHL den Schutz des Zentralen Arbeiter- und Soldatenrates in der Stadt zu, sondern veranlasste einen angesichts der revolutionären Ziele paradox erscheinenden Zeitungsaufruf, der Hindenburg, Repräsentant par excellence des wilhelminischen Obrigkeitsstaates, die „Verehrung und Hochachtung“ der Stadtbevölkerung sichern sollte. Letztlich war die gemäßigte Haltung des Kasseler Rates ein Grund dafür, dass er als Kontrollorgan und selbstständig agierende Behörde in den folgenden Monaten ein relativ hohes Maß an Einfluss und Gestaltungskraft entfalten konnte.
Dem Aufruf der sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften vom 9. November 1918 folgten zahlreiche Kasseler Arbeiter und Soldaten, die den soeben gegründeten Arbeiter- und Soldatenrat bestätigten.
Der gelernte Metalldrücker Albert Grzesinski wurde 1897 Mitglied im Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) und trat ein Jahr später in die Sozialdemokratische Partei ein. Von 1903 bis 1907 war Grzesinski als Gewerkschaftsfunktionär in Offenbach am Main tätig, wo er auch der örtlichen SPD vorstand. 1907 siedelte er nach Kassel über und übernahm dort den Posten des Sekretärs des DMV. Vor allem aufgrund seiner Erfahrungen als Gewerkschafts- und Parteifunktionär wurde er im November 1918 Vorsitzender des Zentralen Arbeiter- und Soldatenrates für den Regierungsbezirk Kassel und war damit eine bestimmende Figur der Rätebewegung im nord- und mittelhessischen Raum. Seine politisch gemäßigte Linie, die weitgehend der Politik des Rates der Volksbeauftragten entsprach, war für die Ausrichtung des Zentralen Arbeiter- und Soldatenrates prägend. In der Zeit der Weimarer Republik war Grzesinski u.a. Polizeipräsident von Berlin und von 1926 bis 1930 preußischer Minister des Innern. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten floh er im März 1933 über die Schweiz und Frankreich in die USA. Grzesinski starb 1947 in New York.
Nach seiner Gründung am 9. November 1918 bezog der Arbeiter- und Soldatenrat Quartier im Rathaus. Die Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Erich Koch blieb unverändert bestehen, stand jedoch von nun an unter der Kontrolle der Räte.
Bereits am 11. November hatte sich der in Kassel gebildete Arbeiter- und Soldatenrat selbst zum Zentralen Rat für den gesamten Regierungsbezirk Kassel erklärt. Dies war ein eher unübliches Vorgehen, setzten sich die übergeordneten Räte in der Regel eher aus gewählten Vertretern der einzelnen Räte eines Regierungsbezirkes zusammen. So kam die Empfehlung der im Zuge der Novemberrevolution neu konstituierten Reichsregierung, den Kasseler Arbeiter- und Soldatenrat als „entscheidende Stelle“ für den Bezirk anzuerkennen, zur rechten Zeit. Die Unterstützung seitens der Reichsebene war für die Etablierung des Rates als Zentralinstanz zweifelsohne ein stark begünstigender Faktor. Gleichwohl nahmen nicht alle Räte die Kasseler Führungsrolle unwidersprochen hin. Dies galt insbesondere für die durch USPD-Mitglieder oder Angehörige des Spartakusbundes geprägten Arbeiter- und Soldatenräte im Süden des Regierungsbezirks, zum Beispiel in Hanau, die in ihrer politischen Ausrichtung deutlich links von dem mehrheitssozialdemokratisch orientierten Kasseler Rat anzusiedeln waren.
Von Bernstorff teilte mit, er füge sich „den Neuordnungen der Dinge“ ein, wies die Landräte an, Gleiches zu tun und erkannte damit den Arbeiter- und Soldatenrat als zentrales Kontrollorgan an.
In einer öffentlichen Bekanntmachung wurde dem mit der OHL in Kassel einziehenden Generalfeldmarschall von Hindenburg der Schutz durch den Arbeiter- und Soldatenrat und den Magistrat zugesichert.
Ende November 1918 beantragte der Zentrale Arbeiter- und Soldatenrat bei der Regierung Kassel Finanzmittel für die ihm bis dahin entstandenen Kosten, insbesondere Aufwandsentschädigungen für seine Mitglieder, Reisekosten und Kosten für Zeitungsanzeigen.
Das zum damaligen Zeitpunkt gemeinsam von Albert Südekum (MSPD) und Hugo Simon (USPD) geführte preußische Finanzministerium strich die geltend gemachten Summen rigoros zusammen: Für die Aufwandsentschädigungen, die sich am tatsächlichen Verdienstausfall orientieren sollten, wurde eine Höchstgrenze von fünf Mark festgesetzt. Die eingereichten Reisekosten wurden nicht anerkannt. Die Anzeigenkosten sollten nur unter bestimmten Voraussetzungen übernommen werden. Zudem wies das Ministerium darauf hin, dass den Räten insgesamt keine Pauschalen ausbezahlt, sondern ausschließlich belegte Kosten erstattet würden und dass die Räte sich im Übrigen jedweden Eingriffs in die Kassenverwaltung zu enthalten hätten. Die Regierung Kassel, die sich dementsprechend verhielt, besaß somit eine von sozialdemokratischen Politikern legitimierte Handlungsanweisung, mittels derer sie über die finanzielle Abhängigkeit die politischen Aktivitäten der Räte kontrollieren und bei Bedarf eindämmen konnte.
Neben der Frage der Finanzierung war für die Rätebewegung vor allem die Schaffung eigener Sicherheitsorgane ein wichtiges Vorhaben, um bei der Ausübung von Polizeigewalt nicht auf die alten Kräfte angewiesen sein zu müssen und um auch nach außen die Kontrollfunktion der Räte sichtbar werden zu lassen. So richtete der Zentrale Arbeiter- und Soldatenrat in Kassel im Januar 1919 eine „Stadtwehr“ ein, die zunächst etwa 2.000 Mann umfasste und die Sicherheit im Stadtgebiet – den Schutz von Personen und Eigentum – gewährleisten sollte. Zwar hatte die Wehr keine allzu lange Lebensdauer und wurde bereits im Sommer 1919 der Stadtverwaltung unterstellt, doch konnte der Arbeiter- und Soldatenrat für sich als Erfolg verbuchen, eine unter Waffen stehende polizeiliche Organisation geschaffen zu haben, die demokratisch kontrolliert wurde und im Gegensatz zu vielen nach Kriegsende entstandenen Freikorps-Verbänden keine Gefahr für die Republik darstellte.
Die Mehrheit der Arbeiter- und Soldatenräte bestand auch nach den Wahlen zur Nationalversammlung zunächst fort, da die noch ausstehende Verfassung für das Deutsche Reich, das Fehlen demokratisch legitimierter Parlamente auf Reichs-, Länder- und Kommunalebene sowie vor allem die mangelhafte Demokratisierung der Verwaltung ihnen ausreichend Gründe lieferte, um als Kontrollinstanzen fortzubestehen und auf eine Neubesetzung von Posten etwa in Landratsämtern und Kreisverwaltungen zu drängen. Mit Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung im Sommer 1919 lösten sich allerdings zunehmend mehr lokale Räte auf oder stellten die Arbeit ein, da Mitglieder austraten und in ihr früheres Berufsleben zurückkehrten und die Behörden die Finanzierung der Räte reduzierten und bald ganz einstellten. Schrittweise gaben die Räte Kompetenzen an Stadt- und Kreisverwaltungen zurück und rückten von ihrer bis dahin bestehenden Aufsichtsfunktion ab. Der Zentrale Arbeiter- und Soldatenrat in Kassel löste sich ab Herbst 1919 schleichend auf. Zu einem förmlichen Akt der Auflösung kam es nicht.
Der politische Umbruch in Hanau begann am 7. November 1918. Er wurde, anders als in Kassel, nicht von außen angestoßen, sondern hatte seinen Ursprung in den konfliktreichen inneren Verhältnissen der Stadt. Während einer Sitzung der Stadtverordneten, die angesichts der sich im norddeutschen Raum bereits Bahn brechenden Ereignisse hitzig verlief, wurde dem USPD-Abgeordneten und Mitglied der Spartakusgruppe Friedrich Schnellbacher das Wort entzogen. Schnellbacher hatte einen Antrag seiner Partei zum Termin der anstehenden Wahlen begründet und vor dem voll besetzten Zuschauerraum im Rathaus das Dreiklassenwahlrecht offen und scharf kritisiert. Der Wortentzug führte zur Eskalation: Zuschauer stiegen über die Bänke im Saal und sprengten die Sitzung.
Zeitgleich fand vor dem Rathaus eine von der USPD initiierte Protestversammlung statt, an der mehrere Tausend Menschen teilnahmen. Die Abgeordneten um Schnellbacher wurden von der vor dem Gebäude versammelten Menge mit begeisterten Rufen empfangen. Unter roten Fahnen formierte sich nun ein Demonstrationszug, der bis spät in die Nacht hinein durch die Stadt zog und im Rahmen dessen auch ein Lebensmittelgeschäft geplündert wurde. Die durch den amtierenden Landrat und Polizeidirektor Carl Christian Schmid, Mitglied der DVP, herbeibefohlenen Polizisten waren trotz Anwendung von Waffengewalt nicht in der Lage, die Situation unter Kontrolle zu bringen. 25 Demonstranten wurden bei dem Einsatz verletzt.
Am 8. November wurde unter dem Vorsitz Friedrich Schnellbachers in Hanau ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, der, im Gegensatz zur Mehrheit der Räte im Regierungsbezirk Kassel, stark von der USPD geprägt war und eine radikalere Zielrichtung hatte. 20 Mitglieder des Gremiums gehörten den Unabhängigen Sozialdemokraten an, fünf der SPD.
In den folgenden Tagen, zwischen dem 9. und 11. November, übernahm der Arbeiter- und Soldatenrat die Vollzugsgewalt in Hanau und setzte den Gewerkschafter und USPD-Stadtverordneten Georg Wagner als kommissarischen Landrat ein, dem der bisherige Amtsinhaber Schmid als „Mitarbeiter“ unterstellt wurde. Mitte November brachten die Hanauer Räte die gemäßigt konservativ ausgerichtete Tageszeitung „Hanauer Anzeiger“ unter ihre Kontrolle, welche fortan als „Publikationsorgan des Arbeiter- und Soldatenrates für den Stadt- und Landkreis Hanau am Main“ firmierte. Anfang Dezember wurde eine „Schutzwehr“ eingerichtet, die bis zu 1.000 Mann Stärke erreichte. Somit waren Informationshoheit und Polizeigewalt in der Hand des Arbeiter- und Soldatenrates.
Zwischen dem bisherigen Landrat Schmid und den revolutionären Kräften entspann sich seit der Machtübernahme durch den Hanauer Rat ein schwerwiegender Konflikt um Kompetenzen und Zuständigkeiten, der dazu führte, dass Schmid, der seine Aufsichtsbehörden, das Regierungspräsidium und das SPD-dominierte preußische Ministerium des Innern, immer wieder um Unterstützung gegen den „spartakistischen“ Arbeiter- und Soldatenrat ersuchte, seinen Amtssitz Ende Dezember nach Frankfurt am Main verlegte. Die Auseinandersetzungen gipfelten im Februar 1919 – nachdem es im Anschluss an eine USPD-Veranstaltung in der Stadt zu Plünderungen gekommen war – in der Ausrufung des Belagerungszustandes durch das stellvertretende Generalkommando, der Besetzung Hanaus durch Reichswehr-Einheiten und der Verhaftung der führenden Köpfe des Arbeiter- und Soldatenrates, denen später wegen der „Anführung revolutionärer Unruhen“ der Prozess gemacht wurde.
Der Sitz der Kreisverwaltung war ab November 1918 Schauplatz des Konflikts zwischen Landrat und revolutionärem Arbeiter- und Soldatenrat.
Der Hanauer Arbeiter- und Soldatenrat bestand weit überwiegend aus Mitgliedern der USPD, die die parlamentarische Demokratie mehrheitlich ablehnten und die Verwirklichung eines Rätesystems anstrebten.
Nachdem der Konflikt zwischen dem Arbeiter- und Soldatenrat und Landrat Schmid zunehmend eskalierte, informierte Schmid die Bevölkerung über die Verlegung seines Amtssitzes nach Frankfurt am Main.
Nachdem es in Hanau Mitte Februar 1919 zu Plünderungen gekommen war, rief das stellvertretende Generalkommando den Belagerungszustand aus und ließ die Stadt durch provisorische Reichswehr-Einheiten besetzen.
Die Besetzung Hanaus dauerte nur wenige Tage an. Zu Kämpfen kam es in der Stadt nicht. Landrat Schmid, der seinen Amtssitz nach Frankfurt verlegt hatte, zog im Gefolge des Militärs wieder in Hanau ein.
Am 12. November 1918 rief der Rat der Volksbeauftragten zur Bildung von Bauernräten in den ländlichen Regionen des Deutschen Reiches auf, die analog zu den Arbeiter- und Soldatenräten als Vertretungsorgane der ländlichen Bevölkerung die Ernährung sicherstellen, den Schleichhandel bekämpfen und mithelfen sollten, „Ruhe und Ordnung“ auf dem Land zu bewahren. Angeregt worden war der Aufruf bemerkenswerterweise durch den Kriegsausschuss der deutschen Landwirtschaft, einem landwirtschaftlichen Dachverband, der stark konservativ ausgerichtet war und kaum Interesse an umstürzlerischen Entwicklungen hatte.
Nachdem die durch den Rat der Volksbeauftragten verordnete Bildung der Bauernräte in den Landkreisen des Reiches – hier stellten die Kreise des Regierungsbezirks Kassel keine Ausnahme dar – zunächst nur schleppend voran ging, wurde die Reichsregierung erneut initiativ tätig. Am 25. November erging eine Bekanntmachung über die obligatorische Bildung von „Bauern- und Landarbeiterräten“ nebst Richtlinien des Reichsernährungsamtes, die unter Federführung von Staatssekretär Emanuel Wurm (USPD) erarbeitet worden waren. Die Richtlinien sahen die Schaffung von mindestens sechsköpfigen Räten in jeder Gemeinde vor, aus denen mittels Wahl Kreisbauern- und Landarbeiterräte hervorgehen sollten.
Insgesamt jedoch blieb das Interesse in den nord- und mittelhessischen Landkreisen an der Schaffung der Räte relativ gering. Angesprochen fühlten sich vor allem die alten landwirtschaftlichen Verbände, die in der Initiative der Reichsregierung eine willkommene Möglichkeit erblickten, um revolutionäre Tendenzen auf dem Land zu unterbinden. Im Gegensatz zu den spontan und aufgrund des Strebens nach politischer und gesellschaftlicher Veränderung entstandenen Arbeiter- und Soldatenräten erwiesen sich die durch behördliche Anordnung geschaffenen Bauern- und Landarbeiterräte daher als Orte konservativer Klientelpolitik.
In den Landkreisen des Regierungsbezirks Kassel begann die Bildung der Bauern- und Landarbeiterräte erst ab Januar 1919 Fahrt aufzunehmen, nachdem der Regierungspräsident die Landräte an die diesbezügliche Pflicht erinnert und hierzu eine regelmäßige Berichterstattung angemahnt hatte. Die Berichte der Landräte zeichnen mit Blick auf Sinn und Nutzen der neuen Gremien ein durchwachsenes Bild: So zeigten die Bauern- und Landarbeiterräte, wie der Frankenberger Landrat im Februar 1919 nach Kassel schrieb, für die ihnen obliegenden Aufgaben wenig Verständnis. Sie seien zumeist nur auf die eng gefassten Interessen ihrer Berufsgenossen bedacht. Zu einer ähnlichen Auffassung gelangte der Ziegenhainer Landrat, der dem Regierungspräsidenten etwa zeitgleich mitteilte, dass die Tätigkeit der Räte kaum zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage beigetragen habe.
Insgesamt beschränkten sich die Kompetenzen der Bauern- und Landarbeiterräte des Bezirks auf genuin landwirtschaftliche Fragestellungen und hier insbesondere auf die Überwachung der pflichtgemäßen Ablieferung von Lebensmitteln durch die Landwirte. Über eine Rolle als Hilfsstellen der Behörden kamen sie in der Regel nicht hinaus. Aufgrund der Mitgliederzusammensetzung bestand letztlich in ideologischer wie programmatischer Hinsicht eine tiefe Kluft zwischen den sozialdemokratisch geprägten Arbeiter- und Soldatenräten auf der einen und den zutiefst konservativen Bauern- und Landarbeiterräten auf der anderen Seite, deren Wirken das Voranschreiten der Revolution paradoxerweise eher hemmte als beförderte.
Die Landwirtschaft war nach 1918 in schwieriger Lage: Es fehlten Arbeitskräfte ebenso wie Dünger, Saatgut oder Maschinen. Die Feldarbeit war hart und wurde weit überwiegend von Hand ausgeführt. So spiegeln es auch die zeitgenössischen Zeichnungen des Malers Otto Ubbelohde wider.
Eine der dringlichsten Aufgaben für die im Zuge der Novemberrevolution entstandenen Räte war die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Bereits am 12. November 1918 hatte daher der Rat der Volksbeauftragten dazu aufgerufen, Bauernräte als Vertretungsorgane der ländlichen Bevölkerung zu gründen, die die Ernährung sichern sollten. Zwei Wochen später machte das Reichsernährungsamt unter Federführung von Staatssekretär und USPD-Mitglied Emanuel Wurm (1857-1920) sogar Richtlinien zur obligatorischen Bildung von, wie es nun hieß, „Bauern- und Landarbeiterräten“ in Gemeinden und Kreisen bekannt. Da die Gründung der ländlichen Räte in den Folgewochen nur schleppend voranging, wurden die preußischen Regierungspräsidenten Mitte Januar 1919 durch den Staatskommissar für Volksernährung aufgefordert, dort, wo noch nicht geschehen, deren Aufstellung zu veranlassen. In der Folgezeit entstanden in den Landgemeinden und Kreisen tatsächlich mehr und mehr Bauern- und Landarbeiterräte. Im Gegensatz zu den Arbeiter- und Soldatenräten, die spontane revolutionäre Gründungen „von unten“ waren, bildeten sich die Bauern- und Landarbeiterräte allerdings aufgrund einer behördlichen Anordnung „von oben“. Vielfach fanden sich in ihnen die konservativen Führer der landwirtschaftlichen Verbände der Kaiserzeit wieder, denen der Sinn nicht nach Revolution und insbesondere nicht nach einer Verstaatlichung ihres Eigentums stand. So trennte die städtischen Arbeiter- und Soldatenräte und die ländlichen Räte in der Regel ideologisch wie programmatisch eine tiefe Kluft. Revolutionäre Umwälzungen auf dem Land blieben 1918/1919 vor diesem Hintergrund nahezu vollständig aus.
„In sämtlichen Gemeinden des Kreises haben sich Bauern- und Landarbeiterräte unter Beachtung der bestehenden Richtlinien gebildet. Ferner besteht ein Kreis-Bauern- und Landarbeiterrat, welchen die zu einer gemeinsamen Sitzung berufenen örtlichen Bauern- und Landarbeiterräte gewählt haben. Zur tatkräftigen Mitwirkung bei verschiedenen rein wirtschaftlichen Maßnahmen, z.B. Bekämpfung des Schleichhandels, Aufbringung von Pflichtlieferungen an Schlachtvieh, Butter, Milch u.s.w. sind die Bauern- und Landarbeiterräte diesseits wiederholt ersucht worden. Einige Schleichhändler sind von den Mitgliedern gefasst und zur Anzeige gebracht.“
Der Reichs-Bauern- und Landarbeiterrat konstituierte sich im Dezember 1918 unter Beisein eines Vertreters des Reichsernährungsamtes in Berlin. Vertreten waren vor allem die konservativen Agrarverbände.
Frankfurt, die größte und wirtschaftlich bedeutendste Stadt im Rhein-Main-Gebiet, erlebte die Zeit des Ersten Weltkriegs als eine Phase des Verlusts zahlreicher Mitbürger sowie der Entbehrungen aufgrund von Lebensmittel- und Brennstoffknappheit. Darüber hinaus hinterließen 1917/18 elf Fliegerangriffe deutliche Spuren in der Stadt.
In der Endphase des Krieges gärte es längst: Der 1914 geschlossene Burgfrieden zwischen Bürgertum und Aristokratie auf der einen und der Arbeiterbewegung auf der anderen Seite hatte im Verlauf des Weltkrieges tiefe Risse bekommen. Unzufriedenheit und Antikriegsstimmung manifestierten sich in Massenstreiks. Zugleich hatte sich die SPD als politische Kraft der starken, traditionsreichen Frankfurter Arbeiterbewegung in eine gemäßigte Mehrheitssozialdemokratie und eine konsequent sozialistische Unabhängige SPD zu spalten begonnen.
In dieser politisch angespannten Situation kam der Impuls zu einem Umsturz der bestehenden Ordnung von außen: „Als Sturmvögel der Revolution“ trafen am 7. November 150 meuternde Matrosen aus Kiel in Frankfurt ein, einen Tag später 80 weitere. Sie stießen mit SPD und USPD auf zwei rivalisierende Arbeiterparteien, die diesen revolutionären Anstoß unterschiedlich aufnahmen. Im Einverständnis mit dem Generalkommando des 18. Armeekorps, das seinen Sitz in Frankfurt hatte, ließ die SPD einen Soldatenrat wählen. Die USPD bildete über ihre Vertrauensleute in den Industriebetrieben einen Arbeiterrat, der von den eigenen Parteigängern dominiert wurde. Dieser Arbeiterrat bekam am 9. November jedoch auf Druck der Mehrheits-SPD eine paritätische Zusammensetzung aus Vertretern beider sozialistischer Parteien. Am 10. November schließlich schlossen sich die Räte der Soldaten und der Arbeiterschaft zu einem gemeinsamen Arbeiter- und Soldatenrat (ASR) zusammen, der als revolutionäres Vollzugsorgan die Macht übernahm.
Für die nächsten Monate blieb das Organ der Revolution der maßgebliche Machtfaktor. Das drängendste Problem war auch in Frankfurt die Demobilisierung zahlloser Soldaten, die verpflegt und untergebracht werden mussten. Auch für die Stadtbevölkerung musste die Grundversorgung mit Lebensmitteln und Brennstoffen gesichert werden. Dass sich am 10. Dezember der Soldatenrat auflöste, da Frankfurt gemäß dem Waffenstillstand mit der Entente in der neutralen Zone lag und das Generalkommando mit den Soldaten die Stadt verlassen musste, schwächte die revolutionären Kräfte noch nicht entscheidend.
Erst ab Beginn des Jahres 1919 machte sich allmählich der Machtverfall des Arbeiterrates bemerkbar. Zum einen kam es zu einer weiteren Aufsplitterung der Arbeiterbewegung in USPD, KPD und SPD, die sich politisch immer weiter vom Arbeiterrat distanzierte. Zum anderen zeigten die Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919, zur preußischen verfassungsgebenden Landesversammlung und schließlich zur Stadtverordnetenversammlung am 2. März 1919, dass die Parteien der Arbeiterbewegung zusehends an politischem Rückhalt in der Bevölkerung verloren.
Mit französischer Billigung kehrten Einheiten der Reichswehr in die Stadt zurück und entmachteten im November 1919 den Frankfurter Arbeiterrat. Im Januar 1920 löste dieser sich selbst auf. Die Revolution hatte damit ihre letzte Bastion in Frankfurt verloren. Wenige Monate später, am 6. April 1920, rückten französische Truppen für etwa sechs Wochen in Frankfurt ein, um die Stadt als militärisches Faustpfand bei der Niederschlagung des Ruhraufstands einzusetzen.
Am 9. November initiierten Marinesoldaten des Kölner Soldatenrates die Bildung eines Soldatenrates aus dem Ersatz-Bataillon des 80. Füsilierregiments heraus, dem 1866 entstandenen Wiesbadener „Hausregiment“.
Am Abend desselben Tages riefen die Arbeiterparteien zu einer Großveranstaltung auf. Es wurde ein Arbeiterrat gewählt, in dem SPD und USPD paritätisch jeweils acht Mitglieder stellten. Am 10. November fusionierte der Arbeiterrat mit dem Soldatenrat zum revolutionären Wiesbadener Arbeiter- und Soldatenrat. Dieser übernahm ohne Blutvergießen die Macht über die Stadt und den Landkreis Wiesbaden.
Während der nächsten Wochen blieb der gemäßigte Arbeiter- und Soldatenrat seiner Linie treu, in unruhigen, revolutionären Zeiten die drängenden Probleme des Alltags pragmatisch zu lösen.
Die Novemberrevolution endete in Wiesbaden am 13. Dezember 1918 mit der französischen Rheinlandbesetzung. Der Arbeiter- und Soldatenrat löste sich auf und die französische Besatzungsherrschaft begann.
Die Besetzung des Rheinlands durch das französische Militär schuf den Nährboden, auf dem sich der rheinische Separatismus ab 1919 entfalten konnte. Die Bestrebungen, eine konfessionell katholisch und politisch auf Frankreich hin ausgerichtete Rheinische Republik zu gründen, besaßen zwei Stoßrichtungen: zum einen, zurückreichend bis ins 19. Jahrhundert, gegen die protestantische Hegemonialmacht Preußen, zum anderen gegen den Sozialismus, der seit der Novemberrevolution allerorten die althergebrachte Sozial- und Wirtschaftsordnung bedrohte. Das französische Militär unterstützte die Bestrebungen für eine Eigenstaatlichkeit umfänglich. Mit einem solchen „Pufferstaat“ hätte sich Frankreich die Kontrolle der westdeutschen Wirtschaftsressourcen gesichert und das unter preußischer Dominanz stehende Deutsche Reich stark geschwächt.
Wiesbaden war neben Aachen, Köln und Trier eines der Zentren des rheinischen Separatismus. Auch im benachbarten, katholisch geprägten Rheingau, u.a. in Eltville, Johannisberg und Lorchhausen, stieß der Separatismus auf positiven Widerhall. In Wiesbaden war der Staatsanwalt Hans Adam Dorten die treibende Kraft bei dem Versuch, eine eigenständige Rheinische Republik zu begründen. Nach seiner Heimkehr aus dem Kriegsdienst, bei dem er mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse ausgezeichnet worden war, politisierte sich Dorten im Zuge der Novemberrevolution. Unter seiner Führung proklamierten die Wiesbadener Separatisten am 1. Juni 1919 die Rheinische Republik.
In Wiesbaden stieß dieser Putschversuch auf den vehementen Widerstand von Stadtverwaltung und Bevölkerung. Zum einen waren die französischen Besatzer nicht wohlgelitten. Die Not und Entbehrungen, die bereits der Krieg über die Einwohner der Stadt gebracht hatte, wurden durch die Besetzung noch verstärkt. Sich gegen die Separatisten zu wehren, war auch ein deutliches Votum gegen Frankreich. Zum anderen folgten zahlreiche Wiesbadener dem Aufruf der Stadtverwaltung zu einem Generalstreik und zu Protestkundgebungen gegen die selbsternannte Regierung eines „Präsidenten“ Dorten. Nachdem es auch den Militärbehörden nicht gelang, diese Streikbewegungen ohne Anwendung von Gewalt zu unterbinden, entzogen die Franzosen den Putschisten rasch ihre Unterstützung. Ohne Schutzmacht und vollziehende Gewalt brach der Putsch schließlich in sich zusammen.
Allerdings war das Scheitern dieses ersten separatistischen Umsturzversuchs noch nicht das Ende der politischen Bewegung. Die französischen Militärs setzten die von den deutschen Behörden betriebene Strafverfolgung der Putschisten wegen Landesverrats aus. Dorten, formell des Hochverrats bezichtigt, und seine Mitstreiter blieben daher unbehelligt im französisch besetzten Rheinland.
Im Herbst 1923, unter den politischen Vorzeichen der Ruhrkrise, unternahmen die Separatisten einen erneuten Putschversuch. Ausgehend von der Proklamation einer Republik Rheinland zunächst in Koblenz, dann in Bad Ems, besetzten Separatisten mit aktiver Unterstützung der französischen Militärs am 22. Oktober das Wiesbadener Rathaus und hissten dort ihre grün-weiß-rote Fahne. Es kam zu einem Schusswechsel zwischen Separatisten und ihren reichstreuen Gegnern. Weitere Regierungsgebäude wurden besetzt, darunter das Polizeipräsidium und das Regierungspräsidium. In den folgenden Wochen folgten in Wiesbaden und seinen Vororten wie Bierstadt blutige Auseinandersetzungen.
Ähnlich wie bereits 1919 endete der separatistische Umsturzversuch im Januar 1924 erfolglos. Dies war einerseits auf den Widerstand der Verwaltung und Bevölkerung, andererseits auf das Zurückweichen der französischen Besatzer zurückzuführen. Dorten wanderte nach Frankreich aus.
Der Wiesbadener Arbeiter- und Soldatenrat residierte während seiner rund fünfwöchigen Existenz im Stadtschloss. Hier der Eingang zur Dienststelle des Arbeiter- und Soldatenrates.
Am 5. Dezember 1918 kehrten die „im Felde unbesiegten“ Soldaten des traditionell in Wiesbaden stationierten 80. Füsilierregiments zurück. Die Soldaten wurden von der Bevölkerung auf der Wiesbadener „Rue“, der Wilhelmstraße, freudig begrüßt.
Die bis 1926 andauernde Besetzung Wiesbadens durch Truppen des siegreichen französischen „Erbfeinds“ empfanden viele Wiesbadener als nationale Schmach. Dass dunkelhäutige Soldaten zu den Besatzern zählten, schürte bei der Bevölkerung zusätzliche rassistische Ressentiments. Hier der Exerziermarsch einer Kolonialtruppe vor der Marktkirche.
Auftakt der Revolution im Großherzogtum Hessen war der am 7. November 1918 im Landtag zu Darmstadt behandelte Eilantrag der Sozialdemokraten über die Einführung der parlamentarischen Staatsordnung und die Umwandlung des monarchischen Obrigkeitsstaats in den Volksstaat. Auch die am Folgetag von Großherzog Ernst Ludwig angeordnete Einberufung eines Staatsrates aus den Reihen der Landtagsparteien hielt die Entwicklung nicht mehr auf.
In der Nacht vom 8. auf den 9. November erklärte der von Soldaten des Griesheimer Truppenlagers nahe Darmstadt gebildete „Hessische Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat“ den letzten Großherzog von Hessen und bei Rhein für abgesetzt und rief die „freie sozialistische Republik Hessen“ aus. Die Sozialdemokraten unter Führung Carl Ulrichs publizierten noch am selben Tag im „Volksfreund“ einen Aufruf des Soldatenrats. Auch in Offenbach und Gießen organisierten sich Arbeiter- und Soldatenräte und übernahmen die kommunale Gewalt. Obwohl Großherzog Ernst Ludwig nicht förmlich abdankte, wurde die SPD-Fraktion im Landtag von den Räten mit der Bildung einer neuen, republikanischen Regierung beauftragt, die zügig die Wahl einer „Landesversammlung“ zur Legitimierung der neuen Ordnung organisieren sollte.
Binnen weniger Tage übernahm die von dem neuen Ministerpräsidenten Carl Ulrich geführte Revolutionsregierung alle Staatsgeschäfte und suchte eine breite demokratisch-parlamentarische Basis. Ausdrücklich wurden alle Parteien eingeladen, an der Neugestaltung der Staatsordnung mitzuwirken. Ulrich, der der Zweiten Kammer des Hessischen Landtags seit 1885 angehörte und dort eine der politisch herausragenden Führungspersönlichkeiten war, vermochte es, Abgeordnete der früheren Fortschritts-Demokraten und der katholischen Zentrumspartei für die Mitarbeit zu gewinnen. Nationalliberale und Bauernbund indessen verhielten sich ablehnend.
Die großherzoglichen Minister wurden am 13. November förmlich in den Ruhestand verabschiedet. Mit Rundschreiben des Staatsministeriums an alle Beamten und Notare in der Republik Hessen wurde am Folgetag die Abschaffung der Dienstbezeichnung „großherzoglich“ verfügt.
Die Machtübernahme der Räte und ihre Zusammenfassung im Landesvolksrat im Dezember 1918 mit Delegierten aus den drei hessischen Provinzen und den großen Städten des Landes blieb trotz Bürgergarde und Revolutionstribunal eine Episode. In den Wintermonaten 1918/19 unterstützte der Landesvolksrat vor allem die Sicherung der öffentlichen Ordnung und die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Brennmaterial, Wohnraum und Rohstoffen für den Neubeginn der industriellen Produktion. Zudem musste die Demobilisierung der Militäreinheiten organisiert werden. Dies stellte in den von französischen Truppen besetzten Gebietsteilen eine große Herausforderung dar, denn die französische Besatzungszone umfasste mit der Provinz Rheinhessen und Teilen der Provinzen Starkenburg und Oberhessen rund ein Viertel des Staatsgebiets mit einem Drittel der Bevölkerung.
Die politischen Parteien formierten sich noch vor Erlass der hessischen Wahlverordnung vom 3. Dezember 1918 neu zur Vorbereitung auf die Wahlen, bei denen erstmals auch Frauen wahlberechtigt waren. Die Frauen in Hessen avancierten zur besonderen Zielgruppe in den Wahlprogrammen. Alle Parteien firmierten, entsprechend der neuen „Volkssouveränität“, nun als „Volksparteien“, die Nationalliberalen als „Deutsche Volkspartei“, das katholische Zentrum als „Christliche Volkspartei“ und die konservative Rechte als „Hessische Volkspartei“, was ihnen den Spott der Sozialdemokraten eintrug.
Nur eine Woche nach der Wahl zur deutschen Nationalversammlung konnten am 26. Januar 1919 alle männlichen und weiblichen Einwohner ab 20 Jahren ohne Einschränkung die „Verfassungsgebende Volkskammer der Republik Hessen“ wählen. Die neue Landesversammlung bestand nun erstmals seit der Verfassung von 1820 aus einer Kammer, für die nach Verhältniswahlrecht auf Listenbasis 70 Abgeordnete gewählt wurden.
Zwei Tage vor der Konstituierung der Volkskammer am 13. Februar 1919 löste sich der Landesvolksrat auf und übertrug seine auf die Novemberrevolution gegründete gesetzgebende Gewalt auf die neugewählte Volksvertretung. Am 14. Februar legte Ministerpräsident Carl Ulrich der Volkskammer den Entwurf einer vorläufigen Verfassung vor, die am 20. Februar 1919 angenommen wurde. Die Verfassung des nunmehrigen Volksstaats Hessen wurde am 12. Dezember 1919 verabschiedet. Die Abgeordneten der Volkskammer behielten danach ihre Mandate bis zum Ablauf der auf drei Jahre festgelegten Wahlperiode.
Damit war ein gewaltfreier Übergang von der Monarchie zur Republik gelungen.
Der Ausgangspunkt des Umsturzes.
Die Titelseite der Darmstädter SPD-Zeitung „Hessischer Volksfreund“ vom 9. November 1918.
Ulrich war seit 1885 Abgeordneter der SPD im Hessischen Landtag, ab 1890 zugleich im Reichstag. Er wurde Ministerpräsident der provisorischen Regierung und erster Staatspräsident des Volksstaats Hessen.
Plakat des Arbeiter- und Soldatenrats der Republik Hessen, Darmstadt vom 20. November 1918.
Die Formulierung von Grundrechten und von Sozialisierungsbestimmungen wurden der Reichsebene überlassen.
Präsident der verfassungsgebenden Volkskammer der Republik Hessen 1919, Landtagspräsident 1919-1928, dann Staatspräsident des Volksstaats Hessen 1928-1933
Im 19. Jahrhundert hatte sich die deutsche Sozialdemokratie zum politischen Arm der Arbeiterbewegung entwickelt. Sie kämpfte für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeiter und für eine demokratische Republik. 1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, trat die SPD dem sogenannten „Burgfrieden“ bei, um die Außen- und Kriegspolitik des Reichs zu unterstützen. Als sie 1917 die enormen Kredite für die Kriegsführung bewilligte, gründeten Sozialdemokraten, die diese Politik nicht weiter mittragen wollten, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei – USPD.
Im Oktober 1918 trat die SPD in die Regierung Max von Baden ein, übernahm aber bald im Zuge der Novemberrevolution unter Friedrich Ebert die Führung der Regierungsgeschäfte. Denn es war den „Mehrheitssozialisten“ – zunächst zusammen mit der USPD – gelungen, sich an die Spitze der Revolutionsbewegung zu setzen. Es galt, die Monarchie abzuschaffen und eine freie, gleiche und gerechte demokratische Republik aufzubauen. So wurden bereits am 12. November 1918 in Berlin u.a. das Frauenwahlrecht und die Einführung des 8-Stunden-Tags proklamiert. Nur drei Tage später einigten sich Unternehmerverbände und Gewerkschaften darauf, dass die Gewerkschaften als Vertretung der Arbeiterschaft anerkannt, Tarifverträge eingeführt und gemeinsame Ausschüsse zur sozialpartnerschaftlichen Gestaltung des gesamten Wirtschaftslebens errichtet wurden.
Der Erste Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte vom 16.-21. Dezember 1918 verständigte sich darauf, am 19. Januar 1919 die Wahl zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung durchzuführen. Die Beschlüsse des Reichskongresses zur „Demokratisierung“ der Armee und zum sofortigen Beginn der Sozialisierung „geeigneter“ Industrien wurden jedoch nicht weiterverfolgt.
Dies bewog die USPD, sich Ende 1918 aus der Regierungsverantwortung im Reich zurückzuziehen. Infolge dessen gründete sich aus dem Spartakusbund und dem linken USPD-Flügel zur Jahreswende 1918/19 die KPD, die sich der internationalen kommunistischen Bewegung verpflichtete und, auch mit Waffengewalt, für eine sozialistische Räterepublik kämpfte.
In Hessen gewann die kommunistische Arbeiterbewegung vor allem im Frankfurter Raum erheblichen Einfluss. Die dortige Chemie- und Metall-Industrie brachte ein proletarisches Milieu hervor. Angesichts der schlechten Versorgungslage gelang es der KPD, die Gewerkschaften für Protest- und Streikaufrufe zu gewinnen. In Hanau dominierte die USPD gar den Arbeiter- und Soldatenrat, die Presse und die Sicherheitsorgane.
Überdurchschnittliche Erfolge verbuchte die SPD in Kassel und Umland. Sie verfolgte dort eine „reformistische“ Politik, die bei den gewerkschaftlich gut verankerten und bodenständigen Arbeitern, von denen viele einpendelten, honoriert wurde. Eine ähnliche Politik verfolgte die Darmstädter SPD.
Das konservative und bürgerliche Lager war zu Beginn des 20. Jahrhunderts politisch differenzierter aufgestellt als heute und formierte sich im Zuge der Novemberrevolution weitgehend neu.
Das Zentrum hatte sich im 19. Jahrhundert als oppositionelle katholische Milieupartei etabliert. Es setzte sich u.a. für gerechtere Steuerlasten und eine Sozialversicherung ein. Anfang des 20. Jahrhunderts wandelte es sich zur Regierungspartei und trat im Ersten Weltkrieg, wie die SPD, dem „Burgfrieden“ bei. Der Novemberrevolution stand das Zentrum distanziert gegenüber, zählte unter den Vorsitzenden Erzberger und Marx aber zu den konstruktiven Kräften der „Weimarer Koalition“ und unterstützte u.a. die Einführung der Arbeitslosenversicherung maßgeblich. In den katholischen Gebieten Hessens – Rheingau, Limburg und besonders in und um Fulda – war das Zentrum stark vertreten.
Die Deutsche Demokratische Partei – DDP wurde am 20. November 1918 als demokratische, liberale, nationale und soziale Partei gegründet und knüpfte programmatisch an die vormalige linksliberale Fortschrittliche Volkspartei an. Die DDP suchte den Ausgleich zwischen sozial- und wirtschaftspolitischen Positionen, zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum und appellierte an die soziale Verantwortung der Privatwirtschaft, was die Zusammenarbeit mit der SPD nahelegte. Sie gehörte mit SPD und Zentrum zur „Weimarer Koalition“. Doch begann schon 1920 ihr Niedergang. Angesichts der schlechten Versorgungslage, Arbeitslosigkeit und Inflation fand ihr Programm des „sozialen Kapitalismus“ kaum Gehör, und es gelang ihr nicht, den antisemitisch aufgeladenen Vorwurf zu entkräften, „Partei des Hochkapitals“ zu sein.
Im Dezember 1918 gründete sich um den monarchistisch gesinnten Gustav Stresemann als Weiterführung der Nationalliberalen Partei die Deutsche Volkspartei – DVP, die weniger eine demokratische als eine liberale Haltung betonte und die Freiheit des Einzelnen vor den Eingriffen des Staates schützen wollte. Sie lehnte die Weimarer Verfassung ab, war aber von 1920 bis 1931 in fast allen Regierungen vertreten.
In der Deutschnationalen Volkspartei – DNVP formierten sich Ende November 1918 die bisherigen nationalkonservativ-völkischen, monarchistischen und antisemitischen Parteien und Gruppierungen. Adlige, ehemalige Offiziere, aber auch Freiberufler, Intellektuelle, Beamte und Angestellte prägten die Partei. Die DNVP besetzte den rechtskonservativen Rand des Weimarer Parteiensystems und bekämpfte offen die Republik.
Die DDP war 1919 in Frankfurt, Wiesbaden, Darmstadt, Kassel und in den Kleinstädten, darunter auch die Universitätsstadt Marburg, gut aufgestellt. Ihr Programm vertraten vor allem Einzelpersönlichkeiten. Doch verpufften ihre Erfolge auch in Hessen rasch, da es ihr nicht gelang, sich in der Gesellschaft zu verankern. Eine konservative „politische Sozialmoral“ vertraten auch in Hessen die nationalen Verbände und Kriegervereine sowie die protestantische Kirche.
Aus den Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 gingen die Mehrheitssozialdemokraten mit einem reichsweiten Stimmenanteil von 37,9 % als stärkste Partei hervor. Im bürgerlichen Lager wurde die Deutsche Demokratische Partei (DDP) mit 18,5 % der Stimmen stärkste Kraft, während die katholischen Parteien, Zentrum und Bayerische Volkspartei (BVP) zusammen auf 19,7 % kamen. Wahlverlierer waren die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) mit 10,3 % und die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) mit 4,4 %.
Auch im Volksstaat Hessen sowie in der Preußischen Provinz Hessen-Nassau, im Kreis Wetzlar und im Freistaat Waldeck kam es zu einer markanten Kräfteverschiebung zugunsten der SPD und des Linksliberalismus. Erstere wurde überall zur weitaus stärksten politischen Kraft (z.B. Volksstaat Hessen 47 %, Regierungsbezirk Kassel 44 %, Freistaat Waldeck 39 %), gefolgt von der linksliberalen DDP, die zwischen 19 und 23 % pendelte. Das Zentrum erzielte in katholischen Gebieten wie Fulda sehr gute Ergebnisse.
Während SPD, Linksliberale und Zentrum im Wahlergebnis eine Bestätigung ihrer bereits 1917 im Interfraktionellen Ausschuss des Reichstags eingeleiteten engen Zusammenarbeit erblickten, standen die neu formierten rechtsbürgerlichen Parteien vor großen Orientierungs- und Anpassungsproblemen. Die Kriegsniederlage und das Ende der Monarchien hatten die hergebrachten politischen Ordnungsvorstellungen und den Wertehorizont des Bürgertums nachhaltig erschüttert.
Die verfassunggebende Nationalversammlung konstituierte sich am 6. Februar 1919 im thüringischen Weimar, nicht in dem von Unruhen heimgesuchten Berlin. Am 21. Februar begannen die eigentlichen Verfassungsberatungen, denen ein im Reichsamt des Innern von dem linksliberalen Staatsrechtler Hugo Preuß vorbereiteter Entwurf zugrunde lag. Die vor allem im Verfassungsausschuss geführten Verhandlungen dauerten bis zum 31. Juli. An diesem Tag wurde die neue Verfassung in der Schlussabstimmung mit breiter Mehrheit angenommen und am 14. August durch Veröffentlichung im Reichsgesetzblatt in Kraft gesetzt.
Die nach ihrem Entstehungsort benannte Weimarer Reichsverfassung war die erste deutsche Verfassung, die sich in ihrer Präambel zum Prinzip der Volkssouveränität bekannte und plebiszitäre Elemente in Form des Volksentscheids und des Volksbegehrens sowie der Volkswahl des Staatsoberhaupts enthielt. Hauptkonkurrent des Reichstags, der das Prinzip der repräsentativen Demokratie verkörperte, war das republikanische Staatsoberhaupt. Der vom Volk auf sieben Jahre direkt gewählte und im Notstand mit diktatorischen Machtbefugnissen ausgestattete Reichspräsident war als Garant eines starken überparteilichen Staates gedacht. Dagegen blieben der Reichskanzler mit seiner Richtlinienkompetenz und die für ihre Ressorts verantwortlichen Minister vom Vertrauen des Reichstags abhängig.
Der mit 57 Artikeln bemerkenswert umfangreiche Abschnitt über die Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen enthielt nicht nur die klassisch-liberalen Grundrechte des Individuums, sondern auch Regelungen über den öffentlichen Dienst, Ehe und Familie, Religionsgesellschaften, Schule und Bildung sowie das Wirtschaftsleben.
Nach den Wahlen 1919 standen vor allem die Parteien der „Weimarer Koalition“, SPD, DDP und Zentrum, in der politischen Verantwortung. Die größten Herausforderungen bestanden in der Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung und in der Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit.
Die große Unzufriedenheit über die schlechten Lebensbedingungen begünstigte Protestkundgebungen, die in gewaltsame Unruhen umschlagen konnten. In Berlin kam es zum „Januaraufstand“ durch linke USPD-Mitglieder, Spartakusbund und KPD. In Bremen wurde eine Räterepublik ausgerufen, im April auch in München, im Ruhrgebiet streikten die Bergarbeiter.
Regierungstreue Truppen und Freikorps schlugen diese Erhebungen brutal und blutig nieder. In diesen Monaten herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. Medial stark beachtet wurden die politischen Morde: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden Mitte Januar 1919 bestialisch ermordet. Am 21. Februar fiel Kurt Eisner, erster Ministerpräsident der bayerischen Republik, einem Mordkommando zum Opfer.
Die schlechte Lebensmittelsituation führte auch in Hessen zu Protesten und Unruhen. Nach gewaltsamen Plünderungen besetzten in Hanau Mitte Februar Regierungstruppen die Stadt und verhafteten die Führer des Arbeiter- und Soldatenrats. In Frankfurt verloren bei Hungerprotesten im März 1919 20 Menschen ihr Leben. Im Juni 1919 erlebte Frankfurt große Arbeitslosendemonstrationen. In Kassel forderten Krawalle wegen gestiegener Lebensmittelpreise vier Todesopfer.
Allgemeine Aufforderung zur Wahl zu gehen.
Aufgabe: Lesen Sie bitte im zweiten Hauptteil der Weimarer Verfassung (Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen) den fünften Abschnitt: Das Wirtschaftsleben und bewerten die Regelungen.
Anschließend lesen Sie bitte die entsprechenden Regelungen in der Hessischen Landesverfassung von 1946 (Erster Hauptteil, Abschnitt III: Soziale und wirtschaftliche Rechte und Pflichten) und im Grundgesetz der BRD von 1949 (Art. 14 und 15) und charakterisieren die Entwicklung. Legen Sie dabei ein besonderes Augenmerk auf die Bestimmungen zur Sozialisierung.
An der vom Regierungspräsidenten Grafen v. Bernstorff anberaumten Besprechung nahmen Vertreter des Magistrats, der Polizei sowie verschiedener Parteien (MSPD, Zentrum, DDP, DVP, DNVP) und Verbände teil. Man kam überein, zunächst keine konkreten Maßnahmen einzuleiten, da der SPD-Vertreter erklärte, „daß ihrerseits alles getan würde, was in ihren Kräften stünde.“
Die in Reaktion auf kommunistische Umsturzversuche vielerorts gebildeten, mit Waffen aus Reichswehrbeständen ausgerüsteten Einwohner- und Bürgerwehren, an deren Republiktreue vielerorts durchaus berechtigte Zweifel angemeldet wurden, trugen ab 1919 zur Militarisierung des öffentlichen Lebens bei. Die breite Streuung des Waffenbesitzes, die bereits die Revolution von 1918/19 ermöglicht hatte, befeuerte auch in der Folgezeit die bürgerkriegsähnlichen Konflikte in Deutschland. Im Frühsommer 1921 erfolgte unter massivem alliiertem Druck die Entwaffnung und Auflösung der Selbstschutzverbände.
Der Kapp-Putsch der Rechten und linke Versuche, die Revolution weiter zu treiben
Zeitgleich mit der Radikalisierung von links, die sich im Frühjahr 1919 in einer reichsweiten Streikbewegung entladen hatte, formierte sich auch der Widerstand der radikalen Rechten gegen die Weimarer Republik. Organisatorisch bot das Lager ein buntes Bild. Seit Februar 1919 machten der aus dem Alldeutschen Verband hervorgegangene Deutsche Schutz- und Trutzbund, seit Oktober 1919 der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund mit antisemitischen Parolen gegen die „Judenrepublik“ mobil. Anklang fanden sie bei kleinen Selbstständigen, Angestellten und Beamten, vor allem aber auch in der DNVP und der Reichswehr, die seit dem Sommer 1919 überwiegend aus früheren Freikorps bestand.
Nach Inkrafttreten des Versailler Vertrags am 10. Januar 1920 gingen Teile der Reichswehr auf Konfrontationskurs zur Reichsregierung. Die Reduzierung der Heeresstärke, der Kriegsschuldparagraph und die Aussicht, dass Deutschland möglicherweise die alliierte Forderung nach der Auslieferung von „Kriegsverbrechern“ oder ihrer Aburteilung durch ein deutsches Gericht nachkommen könnte, brachten das Fass für sie zum Überlaufen. Am 13. März 1920 putschten unzufriedene Reichswehroffiziere und Freikorpsmänner sowie ultrarechte Politiker, die ein autoritäres Regime mit ständestaatlichen Zügen anstrebten, unter der Führung des ostpreußischen Generallandschaftsdirektors Wolfgang Kapp, des Kommandierenden Generals des Reichswehr-Gruppenkommandos I Berlin, Freiherr von Lüttwitz, und des Korvettenkapitäns Ehrhardt gegen die Reichsregierung. Da die Reichswehr eine neutrale Position bezog, sah sich die Regierung genötigt, Berlin zu verlassen.
Der am 15. März 1920 im Namen des Reichspräsidenten, der sozialdemokratischen Minister und des SPD-Parteivorstands proklamierte und unter Federführung der Gewerkschaften durchgeführte Generalstreik sowie die Verweigerungshaltung der Ministerialbürokratie nötigten die Putschisten, die sich auf keine einheitliche Massenbewegung stützen konnten, schon nach wenigen Tagen zur Aufgabe. Am 17. März traten die Anführer des Putsches zurück und flüchteten aus Berlin.
Auch in Hessen hatte die Arbeiterschaft prompt reagiert: Bereits am 13. und 15. März war es in Frankfurt und Offenbach zu Großdemonstrationen gekommen; in Darmstadt hatte sich die durch Putschgerüchte aufgeheizte Lage am 14. März erst beruhigt, nachdem die dort stationierten Reichswehrtruppen ihre Loyalität gegenüber der verfassungsmäßigen Regierung erklärt hatten. Am 16. März missbilligte auch der anfangs zögerliche Kasseler Oberpräsident das „unsinnige Vorgehen“ der Berliner Verschwörer.
Im Industrierevier an Rhein und Ruhr kam es Mitte März 1920 zur Machtübernahme durch die sogenannte Rote Ruhrarmee, den bewaffneten Arm einer weit über die KPD-Anhängerschaft hinausreichenden proletarischen Massenbewegung, die sich zunächst erfolgreich gegen die Sicherheitspolizei und die Freikorps zur Wehr setzte. Ab dem 2. April besetzte die Reichswehr das Ruhrgebiet und schlug die Insurrektion gegen die verfassungsmäßige Staatsgewalt mit drakonischer Härte nieder. Auch in Thüringen gingen Studenten- und Freikorps sowie aus Zeitfreiwilligen bestehende Reichswehrverbände gewaltsam vor. Traurige Berühmtheit erlangte der Gewaltexzess von Mitgliedern des Marburger Studentenkorps, die am 25. März 1920 im thüringischen Mechterstädt 15 Arbeiter erschossen.
Der Generalstreik hatte am Ende zwar wesentlich zum Scheitern des gegenrevolutionären Kapp-Putsches beigetragen und war insofern erfolgreich gewesen. Andererseits hatte er aber auch eine Eigendynamik entwickelt, der die Gewerkschaften und die Sozialdemokraten machtlos gegenüberstanden. Die radikale Linke hatte ihn in einen bewaffneten Kampf münden lassen, aus dem nicht die Arbeiterschaft, sondern das Militär als Sieger hervorging.