bearbeitet von Theresa Müller und Philipp Laucht
In der Chronik der Stadt Marburg des Jahres 1933 kann verfolgt werden, welchen Einfluss die damaligen Ereignisse und das politische Geschehen um die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) auf das Leben in Marburg nahmen. Denn zweifelsohne ist es so, dass auch hier, in Marburg, nennenswerte Vorkommnisse stattfanden, wovon wir wesentliche und auffällige Daten ausgewählt und aufgelistet haben.
3. Februar 1933:
Die Ernennung des nationalsozialistischen Führers Adolf Hitler zum Reichskanzler hat, wie überall im deutschen Vaterland, so auch in Marburg unbeschreiblichen Jubel ausgelöst. Um ihrer Freude besonderen Ausdruck zu verleihen, hatte die hiesige Ortsgruppe der NSDAP für heute Abend eine öffentliche Kundgebung in den Stadtsälen mit vorausgehendem Fackelzug durch die Straßen der Stadt Marburg anberaumt. Lang vor Beginn des Fackelzuges hatte sich auf den Straßen und Plätzen der Stadt eine ungeheure Menschenmenge eingefunden, die den vorbeimarschierenden Parteinmitgliedern, denen sich auch der Stahlhelm und die Marburger Korporationsstundenten angeschlossen hatten, in größter Begeisterung zujubelte. Die sich an den Umzug anschließende Kundgebung in den Stadtsälen war überfüllt. In beiden Sälen standen die Massen dicht gedrängt.
23. Februar 1933:
Wahlversammlung der NSDAP – in den überfüllten Stadtsälen sprach der bekannte Rechtssprecher Adolf Hitlers, Rechtsanwalt Frank II aus München.
28. Februar 1933:
Wie in anderen Städten wurden heute auch in Marburg zur Aufrechterhaltung der öffentlich Ordnung und Sicherheit seitens der Polizei umfangreiche Haussuchungen sowohl bei den Geschäftsständen, als auch bei einzelnen Führern der kommunistischen und sozialdemokratischen Partei vorgenommen und vorgefundenes Material beschlagnahmt. Die Aktion verlief ohne Zwischenfall.
04. März 1933:
Der als Abschluss des Wahlkampfes seitens der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei im ganzen Reich veranstaltete „Tag der erwachenden Nation“ (5. 3. 33) wurde heute durch eine mächtige abendliche Kundgebung auf dem Marktplatz begangen, wo die Rundfunkübertragung der bei der Königsberger Feier gehaltenen Rede Adolf Hitlers erfolgte. Die Kundgebung, an der die gesamten Stürme der SA, die SS, die Hitler-Jugend und ein großer Teil der Einwohnerschaft teilnahmen, schloss mit einem Fackelzug nach dem Kämpfrasen und mit dem großen Zapfenstreich dort selbst.
13. März 1933:
Die SA besetzte heute die Redaktion und Druckerei des Hessischen Tagesblattes, das in seinem lokalen Teil den Herrn Reichskanzler, die NSDAP und die Angehörige der Marburger Hauspolizei wiederholt verächtlich gemacht hatte. Nachdem der Verleger die Verächtlichmachungen zugegeben, die Berechtigung zum Einschreiten der SA anerkannt und sich schriftlich verpflichtet hatte, weitere Versuche der Schmähung und Verächtlichmachung zum unterlassen, wurde die Besetzung wieder aufgehoben. Das Blatt wurde vom Herrn Oberpräsidenten bis 17. März verboten und ist dann später eingegangen.
24. März 1933:
Marktbesucher des heutigen Krammarktes stellten das Verlangen, die jüdischen Verkaufsstände zu entfernen. Nachdem sich ein jüdischer Händler auch noch ablehnend über die deutschen Gesetze geäußert hatte, wurden 8 Verkaufsstände jüdischer Händler auf Veranlassung der SA geschlossen.
28. März 1933:
Vier Kommunisten wurden von der Polizei in Schutzhaft genommen.
Anlässlich der deutschfeindlichen Auslandspropaganda ist man, wie überall, auch in Marburg zu Gegenmaßnahmen geschritten. Heute Nachmittag wurden von Angehörigen der SS Plakate an die jüdischen Geschäfte angeklebt, die darauf hinwiesen, dass es sich um jüdische Unternehmen handele, bei denen ein Deutscher nicht mehr kaufen solle. Vor den Häusern hatten SA-Posten Aufstellung genommen, die dafür Sorge trugen, dass die Plakate nicht entfernt wurden. Zu Zwischenfällen ist es nicht gekommen.
30. März 1933:
Die Marburger Juden geben durch ihren Vorstand in der Oberhessischen Zeitung eine Erklärung ab, wonach sie von der deutschfeindlichen Auslandspropaganda und den im Ausland verbreiteten Greuelnachrichten über Misshandlung von Juden in Deutschland abrücken. Sie erklären ausdrücklich, dass keinem Juden in Marburg auch nur ein Haar gekrümmt worden sei.
01.April 1933:
Infolge der deutschfeindlichen Auslandspropaganda fand heute Abend durch die SA und SS unter starker Beteiligung der Bürgerschaft eine gegen die Juden gerichtete Boykottkundgebung auf dem Marktplatz statt, die den Zweck hatte, dem Kampf gegen die Greuelpropaganda des Weltjudentums wirksam zu unterstützen.
03.April 1933:
In der heutigen Sitzung der Staatsverordneten-Versammlung wurde unter dem Jubel des Hauses ein Dringlichkeitsantrag der NSDAP einstimmig angenommen, nachdem
Reichspräsident von Hindenburg und
Reichskanzler Hitler
zu Ehrenbürgern der Stadt Marburg ernannt werden.
Ein zweiter, in der heutigen Sitzung der Staatsverordneteten eingebrachter Dringlichkeitsantrag der NSDAP forderte folgende Umbenennung von Straßen und folgende Namen für die städt. Schulen:
Friedrichsplatz – Adolf-Hitler-Platz
Kasernenstraße – Hermann-Göring-Straße
Uferstraße – Bernhard-Rust-Straße
Oberrealschule – Adolf-Hitler-Schule
Südschule – Horst-Wessel-Schule
Nordschule – Schlageter-Schule
Die vorstehenden Anträge wurden in einer an die Sitzung der Stadtverordneten sich anschließenden Magistratssitzung einstimmig angenommen.

bearbeitet von Philipp Falk und Jan Krüger, Klasse 10b
Wir haben uns mit dem Thema der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Marburg und Umgebung beschäftigt. Uns standen mehrere Arten von Quellen zur Verfügung. Wir entschieden uns dafür, einige Artikel aus der damaligen Zeitung „Oberhessische Zeitung“ (OZ) näher zu betrachten:
Wir stellten fest, dass diese Zeitung eine eher den Nationalsozialismus befürwortende Haltung hatte, auch schon am Ende der Weimarer Republik im Jahre 1932. Nach der Machtergreifung 1933 hätte eine kritische Haltung der Zeitung zur Folge haben können, dass sie verboten oder boykottiert oder ihre Redaktion plötzlich von der NS Sturm Abteilung (SA) besetzt wurde. So ergingt es auch der von Herrmann Bauer herausgegebenen Konkurrenzzeitung „Hessisches Tageblatt“, weil diese die Demokratie gegen die aufkommende rechte Bewegung verteidigte. Doch das ist nur ein Beispiel. Zudem wollen wir einen Einblick gewähren, wie damals schon Meinung und Wahlwerbung gemacht wurden.
Wir wollen zunächst zwei Artikel aus dem Jahre 1932 dokumentieren, in denen zum Einen die Haltung zu Adolf Hitler und zum Anderen die Staatsidee des Nationalsozialismus dargestellt wird. Darauf folgen Beispiele zur Propaganda in Form von Filmwerbung und Slogans, die dazu dienen sollten, die Leute von Hitler und der NSDAP zu überzeugen; schließlich ist es außerordentlich interessant, wie über Wahlergebnisse berichtet wurde.
Aus historischem Interesse haben wir auch einen Stimmzettel in der Bericht aufgenommen.

bearbeitet von Hanna Becker, Victoria Kaster und Jakob Möller
Allerdings gab es auch wenige kritische Zeitungen, die jedoch schnell unterdrückt und verboten wurden. Ein Beispiel dafür ist das „Hessische Tageblatt“ herausgegeben von Hermann Bauer, das dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstand und die Geschehnisse hinterfragte.
So schrieb er am 1.03.1933 (Artikel: "Das Recht der freien Meinungsäußerung ist der Presse genommen") als Reaktion auf die Reichstagsbrandverordnung, dass die einzige Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung nun die Wahl am 5.03.1933 wäre. Zwischen den Zeilen ist zu lesen, dass von diesem Verbot der freien Meinung wohl vor allem die Regierung profitieren dürfte.
Das wurde auch in einem Artikel der Zeitung, erschienen am 6.03.1933 (Artikel: "52 Prozent") deutlich. Der Autor begründet das gute Abschneiden der Nazis vor allem mit der hohen Wahlbeteiligung. Die NSDAP habe im Wahlkampf einfach mehr Mittel zu Propagandazwecken gehabt, die anderen Parteien vorenthalten worden waren.
Wohl auch durch diesen Bericht motiviert besetzte eine SA-Truppe am 13.03 für einige Stunden das Büro Hermann Bauers, der sich darauf hin verpflichten musste, in Zukunft nichts mehr gegen die NSDAP zu veröffentlichen. Am 16.03 und 17.03 erschien kein "Hessisches Tageblatt".
Der Druck auf Bauer nahm trotzdem weiterhin zu. Da er keine Möglichkeit einer neutralen Berichterstattung mehr sah, stellte er das Erscheinen zum 29.04.1933 ein.
Er schrieb, dass es für ihn bereits seit Wochen keine Möglichkeit einer offenen Berichterstattung mehr gegeben habe. Er forderte von den Lesern, weiterhin den Optimismus zu behalten und dem Volk die von vielen erhofften Lebensumstände zu verschaffen oder es wenigstens zu versuchen.

bearbeitet von Joy Umbeck und Martin Kampmann
In der Anfangszeit des NS- Regimes wurden häufig Hausdurchsuchungen bei Regimegegnern (v. a. bei SPD- und KPD-Mitgliedern) durchgeführt (Dok. 1). Hierbei wurde vorwiegend nach Waffen und politischen Schriften gesucht. Oftmals wurden unter einem Vorwand Dinge beschlagnahmt und der Besitzer illegaler Aktivitäten beschuldigt (Dok. 5). Außerdem terrorisierte die SA politische Gegner außerhalb der Durchsuchungen ohne handfesten Grund (Dok. 6).
Aus unseren Akten geht hervor, dass wiederholt dieselben Menschen durchsucht und ggf. in Schutzhaft genommen wurden.
Bei unseren Recherchearbeiten fiel uns wiederholt der Name Deubel auf.
Es gibt ein handschriftliches Protokoll vom 03.02.1933 über seine Hausdurchsuchung, in dem u.a. auf einen regimefeindlichen Kommentar von ihm hingewiesen wird (Dok. 2).
Außerdem fanden wir ein maschinengeschriebenes Durchsuchungsprotokoll vom 28.02.1933 (Dok. 3); ein weiteres Dokument belegt, dass Deubel am selben Tag an (28.02.-02.05.1933) in Schutzhaft genommen wurde (Dok. 4). Dieses Dokument zeigt auch noch eine weitere Haftzeit auf (15.11.1933-13.01.1914), die mit dieser Hausdurchsuchung allerdings nichts zu tun hat.
Aus dem Durchsuchungsprotokoll ist zu entnehmen, dass bei Deubel lediglich ein Flugblatt gefunden wurde. Dennoch wurde er in Schutzhaft genommen. Es liegt nahe, dass dies auf seine Mitgliedschaft in der KPD zurückzuführen ist, die er auf Grund dieser stetigen Terrorisierungen später kündigte.
Am Beispiel von Deubel kann man sehr gut sehen, wie die NSDAP ihre politischen Gegner ausschaltete.
Die Listen sind unvollständig (Durchsuchungsprotokolle und Listen stimmen nicht überein) und größtenteils nicht chronologisch geordnet.
Einige Namen treten wiederholt auf.
Landjägerposten Großseelheim
Kreis Kirchhain (Bez. Kassel)
Kleinseelheim, den 3. Februar 1933
An die Landjägerei-Abteilung in Kirchhain
Betr. Durchsuchungen nach Waffen bei kommunistischen Funktionären
Auf Anordnung des Abteilungsleiters vom 02.02.d. J. (diesen Jahres) wurden am Vormittag des 03.02.d. J. Durchsuchungen nach Waffen bei den in meinem Dienstbezirk wohnhaften kommunistischen Funktionären vorgenommen.
Durchsuchungen wurden durchgeführt:
- bei dem Arbeiter Konrad Schaub, Großseelheim
- bei dem Weißbinder Johannes Debus, Großseelheim
- bei dem Arbeiter Christian Deubel, Kleinseelheim
Die umgehend durchgeführten Durchsuchungen verliefen reibungslos. Deubel äußerte nur: „Glauben sie ja nicht, dass die Kommunisten so dumm sind und haben Waffen in der Wohnung“.
H., Oberlandjäger
W., Oberlandjäger
Bei Hausdurchsuchungen wurden teilweise sehr fragwürdige Gegenstände beschlagnahmt. Hier ein Beispiel, in dem ein SA-Mann bei einer Hausdurchsuchung sein Werkzeug wiedererkennt, das ihm angeblich zuvor gestohlen wurde.
Außerdem wurden zahlreiche Gegenstände beschlagnahmt, die normalerweise nicht Ziel der Durchsuchungen sein sollten (die Suche bezog sich eigentlich auf Waffen und politische Schriften), zum Beispiel ein Notenhalter, eine schwarz-rot-goldene Fahne etc.
Verordnung zum Schutz von Volk und Staat (Beispiel Konrad S.)
Ein Beispiel für die Durchführung der Verordnung vom 28.2.1933 war der Fall von Landwirt des Konrad S. aus Großseelheim.
Er sollte sofort nach einem Funkspruch aus Berlin, der sich auf die Verordnung zum Schutz von Volk und Staat bezog, festgenommen werden.
Am 16.3.1933 wurde er festgenommen und im Marburger Amtsgerichtsgefängnis festgehalten.
Sein Vater sei bereits Mitglied der SPD gewesen und die Mitgliedschaft des Sohnes in der KPD sei auf ein schlechtes Verhältnis zwischen Vater und Sohn zurückzuführen.
Am 1.4.1933 meldete sich der Großseelheimer Pfarrer beim Landratsamt Marburg zu Wort und schilderte, dass über den Gefangenen Konrad S. nur Gutes bekannt sei.
Mitte April wurde Konrad S. wieder aus der Schutzhaft entlassen.
Daran zeigt sich,mit welcher Genauigkeit die politische Verfolgung durchgeführt wurde und welche Auswirkungen die Reichtstagsbrandverordnung auch auf kleine Kommunisten hatte.
Ev. Luth Pfarramt
Großseelheim (Kirchhain)
An das Landratsamt Marburg
Großseelheim 1.4.33
Konrad Schröder von hier ist wegen Mitarbeit in der Kommunistischen Partei in Haft gesetzt worden.
Da er als einziger Sohn im landwirtschaftl. Betrieb seiner Vaters unentbehrlich ist, bittet der Unterzeichnete um die Haftentlassung des Konrad Schröder, zumal über seine Lebensführung und persönliche Haltung in der Gemeinde nichts Nachteiliges bekannt ist.
(Unterschrift)
bearbeitet von Luca Happel und David Kraus
In den folgenden Dokumenten wird die Umstrukturierung der Polizeibehörden im gesamten Reichsgebiet und besonders in den Gebieten in und um Marburg deutlich. Sie enthalten Befehle und Anordnungen für Beamte, wie z.B. mit Kommunisten zu verfahren ist.
Hessen. Die örtliche Polizei muss mit den Schlägertrupps der NSDAP zusammenarbeiten.
Außerdem werden die Namen der SS- und SA-Führer bekannt gegeben.
Jugendliche werden dazu gedrängt, in die HJ (Hitlerjugend) einzutreten, da die HJ die einzige noch bestehende Jugendorganisation ist. Dort wird ihnen die nationalsozialistische Propaganda vermittelt.
Die Polizei wird angewiesen, für eine "ruhige und reibungslose Durchführung" der von der NSDAP geplanten Boykottaktion zu sorgen.

Am 7.April 1933 wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verabschiedet. Das Gesetz diente der politischen Kaltstellung von Gegnern des NS-Regimes und der Entlassung von „Nichtariern“. In dem Gesetz wurde auch verabschiedet, dass Beamte die keine für ihre Laufbahn vorgeschriebene Vorbildung hatten, aus dem Dienst zu entlassen sind. Von der Entlassung der Juden vorerst ausgeschlossen waren Juden, die im 1.Weltkrieg für das Reich gekämpft haben oder deren Vater oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind. Um Beamte auf ihren „arischen“ Ursprung zu überprüfen, mussten Ahnentafeln erstellt werden, in denen nachgewiesen werden musste, dass man bis auf 3.Generationen „arischen Ursprungs“ war. Der im Zuge des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verabschiedete „Arierparagraph“ gewährleistete der NSDAP außerdem, dass jüdische Bürger weitgehend aus beruflichen und gesellschaftlichen Bereichen ausgeschlossen wurden.
Lukas Schmidt