
Nachkriegsrevolution und Gegenrevolution in der Weimarer Republik
Die umkämpfte Neuordnung des Reiches zwischen 1918 und 1922
von H. Gottfried Dittmann
Die Jahre 1918 bis 1922 waren in Deutschland geprägt von Untergang und Revolution, von Umbruch und Revision.
Nach dem Rücktritt Kaiser Wilhelms II. und der Gründung der Republik blieben auf dem Gebiet des Deutschen Kaiserreiches sowohl Enttäuschte zurück, als auch Visionäre unbefriedigt, die andere, radikalere Wege für ein neues Deutschland ins Auge gefasst hatten.
Diese Kräfte hatten das Potenzial und die Mittel, ihrem Willen mit Waffengewalt Nachdruck zu verleihen. Die Reichswehr stand zudem durch den ersten Weltkrieg hochgerüstet als übermächtige Ordnungsmacht im Landesinneren zu Verfügung und schwankte als Diener politischer Ziele zwischen zwei Lagern hin und her, wodurch sie nahezu nach Belieben das Kräfteverhältnis zwischen Regierung und rechten Revolutionären verschieben konnte.
Doch war die Reichswehr nicht gänzlich gegen Umbruch resistent, sondern hatte mit der Meuterei Kieler Soldaten am 4. November 1918 die Revolution im Deutschen Kaiserreich angeschoben, nachdem von der Seekriegsleitung unter Admiral Scheer der Befehl gegeben worden war die Hochseeflotte in ein letztes, militärisch sinnloses Gefecht gegen England zu schicken. Die Soldatem widersetzten sich dieser Anordnung und gründeten die ersten Soldatenräte, um den Krieg zu beenden und ihren Forderungen nach besserer Führung und mehr Freiheit in der dienstfreien Zeit Nachdruck verleihen zu können.
Im Zuge dieser Ereignisse breiteten sich die Soldatenräte, die von nun an durch die Beteiligung der Arbeiterschaft landläufig Arbeiter- und Soldatenräte hießen, im Eiltempo über das ganze Reichsgebiet aus und übernahmen die Kontrolle über oder gar die Ausführung der Regierungsgeschäfte. Zudem waren sie in unterschiedlichsten Funktionen landesweit damit betraut die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Doch dieser weitgreifende und umfangreiche zivile Aufgabenbereich schwächte im Militär zunehmend ihre Stellung. So wurden die Forderungen nach mehr Mitbestimmung nahezu komplett auf ein minimales Einspruchsrecht gegenüber Offiziersentscheidungen zurück geschraubt.
Doch zu diesem Zeitpunkt war im Deutschen Reich die Monarchie schon längst abgelöst worden. Am 9. November riefen in Berlin nahezu zeitgleich zum einen der aus Kassel stammende Philipp Scheidemann die Deutsche Republik, zum anderen Karl Liebknecht die Freie Sozialistische Republik aus. Kurz zuvor war Prinz Max von Baden nach gut einmonatiger Amtszeit als Reichkanzler zurückgetreten und übertrug Friedrich Ebert von der SPD die Regierungsgeschäfte. Der Kaiser saß in Spa fest und sollte Deutschland nie wieder betreten.
Von nun an galt es eine neue Regierung in einem neuen Staat zu konstituieren. Dies war in einem kriegsmüden und zerrissenen Deutschland ein komplexes Unterfangen, welches aber keine Verzögerungen zuließ. Ebert sicherte sich durch ein Bündnis mit dem neuen Generalquartiermeister Groener die Unterstützung der Reichswehr zu, wodurch er zunächst Großteile der Reichswehr hinter sich wusste.
Doch bereits im März 1920 trat die Schwäche dieses Bündnisses zu Tage, als auf einer Besprechung am 7. März General v. Lüttwitz sich weigerte die Marinebrigaden aufzulösen. Der Konflikt spitzte sich zu und am 12. März ließ Reichswehrminister Noske das Regierungsviertel absichern. Allerdings weigerten sich die Truppen auf andere Reichswehrsoldaten zu schießen, wodurch die Regierung zur Flucht aus Berlin gezwungen war.
Im Zuge dieser Ereignisse kam es ein ganz Deutschland zu massiven Unruhen, da die Arbeiterbewegungen die Republik und vielmehr ihren politischen Einfluss gefährdet sah, und Bürgerwehren aufstellte. Besonders im Ruhrgebiet kam es zu bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen zwischen Arbeiterverbänden und rechten Freikorps.
Doch bereits am 17. März 1920 war der Putsch von Rechts vor allem am passiven Widerstand der Reichsbeamten gescheitert, so dass die Reichsregierung nach Berlin zurückkehren konnte.
Einen erneuten Höhepunkt der anti-republikanischen Bemühungen markiert das Jahr 1922. Nach mehreren Anschlägen gegen führende Politiker der Weimarer Republik fiel der Reichsaußenminister Walther Rathenau am 24. Juni 1922 einem Mordanschlag zum Opfer. Dieser offene Akt rechter Extremisten löste in der gesamten Republik Bestürzung aus und führte zum so genannten Republikschutzgesetz, welches das Ziel verfolgte, die rechten und monarchistischen Vereinigungen einzuschränken oder auszulöschen.
Literatur
- Dettmering, Erhardt u. Grenz, Rudolf (Hg.): Marburger Geschichte. Rückblick auf die Stadtgeschichte in Einzelbeiträgen, Marburg 1980.
- Franz, Eckhart G. (Hg.): Die Chronik Hessens, Dortmund 1991.
- Hoegner, Wilhelm: Die verratene Republik. Geschichten der deutschen Gegenrevolution, München 1958.
- Michalka, Wolfgang u. Niedhardt, Gottfried (Hg.): Deutsche Geschichte 1918 – 1933. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik, Frankfurt a. M. 1992.
- Sabrow, Martin: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution, Frankfurt a. M. 1999.
- Stammen, Theo (Hg.): Die Weimarer Republik – 1918-23. Das schwere Erbe (Bd. 1), München 1992. ONLINE VERSION

Was geschah nachdem das deutsche Kaiserreich die Niederlage im ersten Weltkrieg nicht mehr abwenden konnte? Die Nation litt unter der Kriegsproduktion und deren Folgen. Revolutionäre Strömungen fachten immer größere Brandherde an, die niemand mehr totzutreten vermochte.
In den Wirren, welche nach den Kieler Soldatenaufständen das gesamte Reichsgebiet verschluckte ist es unmöglich eine umfassende Rekapitulation der Ereignisse einer Ausstellung voranzustellen. Zumal die großen Ereignisse in Berlin bekannt sind.
Welche Begebenheiten spielten nun in den Entwicklungen fernab der Hauptstadt, in diesem Fall in den Regionen Kassel und Marburg überhaupt eine Rolle? Diese Frage lässt sich erst beantworten, nachdem die Regionalgeschichte rekonstruiert worden ist und die Dokumente gesichtet worden sind, die in dieser Zeit entstanden sind.
Daher sind in diesem Raum einige Ereignisse zusammengetragen worden, die für das Verständnis der Konzeption dieser Ausstellung unumgänglich sind, auch wenn der Begriff Dokument nicht auf alle Ausstellungsstücke zutreffen mag.
Von der Meuterei zur revolutionären Bewegung
Während nämlich der Kaiser nach Spa floh, wollte die Seekriegsleitung unter Admiral Scheer - ohne den wahren Zweck des Flottenvorstoßes den verantwortlichen politischen Führungsinstanzen mitzuteilen - aus Prestigegründen die Hochseeflotte zu einer letzten „Todesfahrt“ gegen die Engländer auslaufen lassen, um in diesem Gefecht „ehrenvoll“ unterzugehen. Als die Matrosen und Heizer bemerkten, dass sie unmittelbar vor Kriegsende sinnlos geopfert werden sollten, verweigerten sie den Gehorsam und verhinderten ein Auslaufen der Flotte. Die Flottenleitung konnte zwar den Widerstand der Meuterer brechen und ungefähr 1000 Mann verhaften; in den folgenden Tagen häuften sich allerdings die Zwischenfälle, die am 3. November in Kiel Todesopfer forderten und bereits einen Tag später in offenem Aufstand kulminierten. Somit ist der eigentliche Anstoß zur Revolution von der Seekriegsleitung ausgegangen:
Die Matrosen bildeten erste Soldatenräte, zu denen sich noch am gleichen Tag Arbeiterräte gesellten: Am Abend des 4. November war Kiel fest in der Hand der Aufständischen. Bereits am 5. November war die Bewegung auf Lübeck und Hamburg übergesprungen.
Am 6. November regierten in beiden Städten Arbeiter- und Soldatenräte, gleichzeitig brachten. die Aufständischen auch Bremen und Wilhelmshaven in ihre Gewalt.
Trotz der Bewilligung von Amnestie und Straffreiheit durch die Reichsregierung konnte nicht mehr verhindere werden, dass die ursprüngliche Militärrevolte sich immer mehr zu einer revolutionären Bewegung ausweitete: Diese griff am 7. November auf zahlreiche Städte Nord- und Westdeutschlands über. Unabhängig davon rief am gleichen Tag in München der USPD-Politiker Kurt Eisner die bayerische Republik aus.
Am folgenden Tag hatten Arbeiter- und Soldatenräte in nahezu allen wichtigen deutschen Städten die Macht übernommen. Bald darauf verschwand die Monarchie in allen deutschen Staaten, ohne dass sich eine Hand zu ihrer Verteidigung gerührt hätte. Die Revolution hatte ganz Deutschland erfasst.
Reichsrätekongress
Nach der Novemberrevolution tagte vom 16. bis zum 21. Dezember 1918 in Berlin der Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte. Die Teilnehmer des Reichsrätekongresses wurden von den regionalen Arbeiter- und Soldatenräten nach eigenem Ermessen entsandt.
Dieses Konsortium setzte sich mit verschiedenen Möglichkeiten einer neuen Staatsordnung auseinander, favorisierte aber die Politik des Rates der Volksbeauftragten um den späteren Reichspräsidenten Friedrich Ebert.
Dem entgegen sollten die verabschiedeten Hamburger Punkte die Militärgewalt unter die Kontrolle eines nationalen Arbeiter- und Soldatenrates stellen. Diese Absicht konnte sich aber gegen die Oberste Heeresleitung und spätestens nach der Konstitution der Weimarer Republik nicht durchsetzen.
Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
Der neue Staat musste sich auch gegen den Widerstand der Rechten behaupten. Das durch den Versailler „Schmachfrieden“ in seinem Nationalstolz getroffene Bürgertum war nur allzu bereit, die Legende vom Dolchstoß in den Rücken des im Felde angeblich ungeschlagenen Heeres zu glauben. Neben den restaurativen Strömungen etwa der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), die sich bereits Ende 1919 zur Monarchie bekannte, bildete sich ein neuer Nationalismus" heraus, dem vor allem die Völkischen mit ihrem auf pseudowissenschaftlichen Rassenlehren gegründeten Antisemitismus huldigten. Sie waren in einer Unzahl von Gruppen und Bünden (Thule-Gesellschaft, Wälsungen-Orden, Deutschvölkischer Schutz- und Trotzverband u. v. a.) organisiert, verstanden sich als kämpferisch und revolutionär und trachteten danach, mit Hilfe eines "Führers" die Ideen der Volksgemeinschaft und des "deutschen Sozialismus" zu verwirklichen.
Dieser auf Frontkameradschaft basierende und das Führertum kultivierende neue Nationalismus war auch besonders in den Freikorps vertreten, die kein inneres Verhältnis zu dem neuen Staat, dem „System“, gefunden hatten. Als zur Durchführung der Versailler Vertragsbestimmungen das Heer reduziert werden musste, erreichte die Unzufriedenheit in der Armee und besonders bei den von Auflösung bedrohten Freikorps ihren Höhepunkt. Im März 1920 sollte die Marinebrigade Ehrhardt aufgelöst werden; sie widersetzte sich jedoch und wurde in ihrem Widerstand durch General von Lüttwitz, den Oberbefehlshaber der Truppen in Berlin, unterstützt. In einer erregten Beratung in der Nacht vom 12. zum 13. März zwischen Reichswehrminister Noske und der Reichswehrführung wurde deutlich, dass der größte Teil der Armee nicht hinter der Regierung stand. General von Seeckt, der Chef des Truppenamtes, erklärte unmissverständlich, dass Reichswehr nicht auf Reichswehr schieße. Daraufhin floh die Regierung zuerst nach Dresden, dann nach Stuttgart. Nachdem die Brigade Ehrhardt Berlin kampflos eingenommen hatte, beauftragte Lüttwitz den Alldeutschen Wolfgang Kapp, der schon längere Zeit einen Staatsstreich geplant hatte, mit der Bildung einer neuen Regierung. Der Putsch scheiterte allerdings bereits nach wenigen Tagen (17. März) sowohl am verfassungstreuen Verhalten und passiven Widerstand der Beamten wie am Generalstreik der Gewerkschaften.
Noske, dessen Stellung in seiner eigenen Partei unhaltbar geworden war, trat zurück; auch General Reinhardt, als Chef der Heeresleitung einer er wenigen regierungstreuen Offiziere, nahm seinen Abschied und wurde durch General von Seeckt ersetzt. Der Kapp-Putsch offenbarte das zwiespältige Verhältnis zwischen Republik und Reichswehr. Diese verharrte den Republikfeinden von rechts gegenüber weiterhin in einer neutralen Stellung und verweigerte die Identifikation mit dem demokratischen Staat.
Der Kapp-Lüttwitz-Putsch war für große Teile der Arbeiterschaft eine Herausforderung, auf die diese durch Organisierung von Selbstschutztruppen reagierte.
Im Ruhrgebiet, in Sachsen, und Thüringen gingen die Arbeiten gegen die Freikorps vor; die Auseinandersetzungen mündeten in regelrechte Bürgerkriegskämpfe.
In Berlin setzten die Gewerkschaften nach dem Fehlschlag des Putsches den Generalstreik mit dem Ziel fort, gesellschaftliche und politische Sicherungen für die demokratische Fortentwicklung der Republik (unter anderem Sozialisierung der dafür reifen Wirtschaftszweige; gewerkschaftliche Einfluss auf die Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung) zu schaffen („Acht-Punkte-Programm“).
Die im Ruhrgebiet gebildete Rote Armee, in der USPD und radikal-syndikalistische Gruppen mehr Einfluss hatten als die KPD, konnte wochenlang Widerstand leisten.
Als es Anfang Mai der Regierung mit Hilfe der Reichswehr und Sicherheitspolizei gelang, nach gewaltsamen Kämpfen im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland wieder Herr der Lage zu werden, übertraf (wie schon bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik) in den Aufstandsgebieten der „weiße Terror“ der Freikorps den „roten Terror“ - bei weitem an Grausamkeit.

Die Stadt Marburg blickt auf eine eigene Geschichte zurück, die sich nicht selten gegen die Abläufe des historischen Mainstreams in Deutschland stellt. Als Landgraf Philipp 1527 die erste protestantische Universität gründete, prägte er das Erscheinungsbild der Stadt bis heute.
Im Jahr 1921 sorgten wiederum die Studenten dieser Universität durch ihre Teilnahme an der Wahl zum Kreistag für Spannungen in Marburg, das zuvor von Revolutionswirren nur einige Formalien wie die Gründung der Arbeiter- und Soldatenräte als Randerscheinung wahrnahm.
Durch die nicht eindeutig festegelegte Definition des Wohnsitzes und der damit verbundenen Wahlberechtigung, waren Wahlergebnisverzerrungen aufgetreten, die durch einen langen Rechtsstreit entschieden werden musste.
Zwei politische Persönlichkeiten dieser Zeit dürfen auch nicht unerwähnt bleiben. Zum einem der Vorsitzende des Marburger Arbeiter- und Soldatenrates Bruno Poersch, der die Seite der neuen Kräfte nicht nur vertrat, sondern auch ihre charismatischste Erscheinung war. Zum anderen der langjährige Oberbürgermeister der Stadt, der mit seiner langen Amtszeit eine Konstante im Wandel zur Weimarer Republik darstellte. Er wusste den neuen Mächten nur so viel Spielraum wie nötig einzugestehen, ohne die Stabilität der Regionalregierung und die Versorgung der Bevölkerung nicht zu gefährden.

Auch in Hessen konstituierten sich in Folge der Kieler Soldatenaufstände Arbeiter- und Soldatenräte (AuS-Räte). Ihr Einfluss war in Marburg und Umgebung allerdings deutlich geringer als in anderen Regionen. Zwar erfüllten sie auch hier zentrale Aufgaben der Heereskontrolle und der Versorgung der Zivilbevölkerung, jedoch nicht in exekutiver Form, sondern ihnen oblag legendlich die Kontrolle der ausführenden Behörden.
Regelrecht erfolglos kann man den Versuch der Liberalisierung der Heeresführung nennen, wo allerorts versucht wurde, die Offiziere durch die Mannschaften wählen zu lassen. Bis die Frontruppen nach Marburg zurückkehrten, waren die Mitglieder der Aus-Räte und ihre Entscheidungen geduldet, danach blieb ihnen aber nur noch ein schwaches Vetorecht gegenüber den bestimmten Offizieren.
Zudem hatten die Räte immer mit den Vereinigungen von Studenten zu kämpfen, die von der Stadt Marburg zur Sicherung der Ordnung bewaffnet wurden. Diese Gegenüberstellung zweier bewaffneter Gruppen fand seinen traurigen Höhepunkt kurz nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch als ein Arbeiter bei Mechterstädt durch die Kugeln von Studenten den Tod fand.
In diesem Ausstellungsraum sind einige Dokumente aufgelistet, die als Beispiel für den Großteil der Überlieferung zu verstehen ist. Nahezu jedes Dokument behandelt die Geldnot der AuS-Räte, die dringend um Vergütung oder Ausgleichzahlung bitten.
Wozu haben wir eine Nationalversammlung? Wir haben keine „sozialistische Republik“! Ich halte das Ansinnen des Herrn Cohn für ganz ungerechtfertigt.

Als zeitgenössisches Dokument ist hier die Schrift von Bruno Jacob: Ein freies Hessen! im einigen Deutschland, aus dem Jahr 1919 ausgestellt. Der Autor versucht mit seinem Buch die revolutionäre Stimmung nach dem Krieg zu nutzen, um ein hessisches Land in einem deutschen Bundesstaat zu proklamieren. Er versucht die hessischen Eigenarten zusammenzufassen, um endlich ein einheitliches Bundesland Hessen durchzusetzen. Jedes Kapitel dieser Schrift ist in dieser Ausstellung mit einer kurzen Zusammenfassung ausgestattet.
Die alte Ordnung spricht Preußen eine absolute Dominanz im Deutschen Reich zu. Der preußische Militarismus hatte sich in den Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71 durchgesetzt, verkannte aber dadurch seine strategisch gefährliche Position in Mitteleuropa, wie der preußische Kriegminister Graf Roon bereits 1874 erkannte.
Auf der anderen Seite ist der 1866 durchgesetzte Zentralismus der Grundstein des ungezügelten Kapitalismus und Hessen in diesem Jahr verschluckte. So bezeichnet der Autor die Vorherrschaft militärischer Eliten auch als Herrschaft von Minderheiten. So kann eine Demokratie nur dezentralistisch und föderalistisch sein, wie zum Beispiel die Schweiz. Das Bündische Staatswesen wird als Vorbild angesehen.
Jacob definiert in diesem Kapitel auch die Grenzen des neuen Hessen. Zwischen Weser und Rhein, Diemel und Neckar soll sich das neue Hessen erstrecken.
Als letztes Argument führt der Autor die gesteigerte Pflege der Kultur und Bildung ins Feld.
Um die Rechtslage zu erörtern baut der Autor seine gesamte Argumentation auf der Revolution auf, die das Deutsche Reich in dieser Zeit überzieht und nennt es daher auch müßig eine juristische Diskussion zu beginnen.

Als die Nachricht über den Putsch von rechten Extremisten in Berlin nach Hessen drang, war die Regierung bereits auf dem Weg über Dresden nach Stuttgart. Doch in Kassel und Marburg wurden die politischen Gremien nicht müde ihre Treue zur jungen Republik kundzutun und erkannten die neuen Machthaber nicht an.
Wahrscheinlich wurde dieser Putschversuch in der fernen Hauptstadt von der hessischen Bevölkerung kaum oder gar nicht bemerkt. Doch ein Ereignis bei Marburg, welches unmittelbar mit der Machtunsicherheit der Regierungskräfte in Zusammenhang stand, brachte es brachial in den Fokus der Öffentlichkeit.
Die „Morde von Mechterstädt“ oder „Tragödie von Mechterstädt“, wobei Mitglieder eines Studentenkorps einen Aufständischen gegen den Kapp-Putsch erschossen ist der Region bis heute im Gedächtnis geblieben. Dies lag vor allem an dem damals umstrittenen und heute heftig diskutierten Freispruch der Täter. Somit wird heute noch die so genannte Mechterstädt-Debatte intensiv geführt.
Leider war die Schlüsselakte über diese Ereignisse nicht im Original verfügbar. Auf Mirkofiche gebannte Kopien geben aber Aufschluss darüber, wie die Zeitungen und die Gerichte diesen Fall an vorderster Stelle diskutierten. Auch der umstrittene Freispruch ist dort archiviert.

Die heftigste Krise schüttelte die Republik nach dem Mord der Organisation Consul, einer monarchistischen Untergrundbewegung, an Walther Rathenau. Am 24. Juni 1922 wurde der damalige Außenminister der Weimarer Republik aus einem fahrenden Wagen heraus erschossen. Trotz großer Ermittlungen gelang es nicht die Täter zu überführen.
Am 4. Juli versammelten sich über 1000 Menschen, um für den Erhalt der Republik zu demonstrieren. Nach dem Abmarsch vom Hauptbahnhof drangen die externen Demonstranten in die örtliche Tapetenfabrik ein, verursachten Sachschäden und verletzten den Besitzer der Fabrik. Der Zug nahm seinem Weg durch die Stadt, als auf dem Marktplatz der Student Eckert auf einen auswärtigen Arbeiter schoss und verletzte. Um ihn vor den Tumulten zu schützen, nahm ihn die Polizei in Schutzhaft, musste ihn aber auf Druck der Demonstranten wieder frei lassen. Er überlebte aber unverletzt, nachdem er öffentliche Abbitte geleistet hatte.
Den Tumulten folgte ein juristisches Nachspiel, indem geklärt werden sollte, wieweit die Polizei bei der gebrochenen Schutzhaft Fehler begangen und welche Demonstranten für die Verletzungen des Tapetenfabrikbesitzers verantwortlich war.
Die Kundgebung in Marburg
Nach der Ermordung Rathenaus fand in Marburg eine Kundgebung für die Republik statt. Die Polizei zählte mehr als 1000 Personen, die am 4. Juli 1922 vom Hauptbahnhof über den Marktplatz zum Friedrichsplatz zogen.
Zunächst brachen sie in die Tapetenfabrik ein und bewegten die dortigen Arbeiter den Zug zu begleiten. Auf dem Marktplatz schoss der Student Eckert einen auswärtigen Arbeiter nach einem Streit an und verletzte ihn im Gesicht. Um ihn vor den Tumulten zu schützen, nahm ihn die Polizei in Schutzhaft, musste ihn aber auf Druck der Demonstranten wieder frei lassen. Auf dem Friedrichsplatz wurde er dann gezwungen ein Schild mit der Aufschrift „Nieder mit der Reaktion“ zu tragen und öffentlich Abbitte leisten.
Die Polizeiverwaltung antwortet unverzüglich und beschreibt die Verletzungen des Fabrikdirektors Schäfer. Unter Anderem wurde er am rechten Auge und am linken Oberarm verletzt, trug einen Bluterguss am Rücken davon und einen Rippenbruch.
Bei der Täterbestimmung waren noch keine Endergebnisse vorhanden, aber drei Hüttenarbeiter wurden als Hauptverdächtige ausgemacht.

Mit dem so genannten Republikschutzgesetz reagierte die Regierung in Berlin auf die Attentate extremer Gruppen gegen führende Politiker, deren Gipfel der Mord am Walther Rathenau darstellte.
Zu diesem Zeitpunkt war es ein juristischer Meilenstein, um die „wehrhafte Republik“ auf sichere Beine zu stellen, ihr Legitimation zu geben. Erst mit der „Machtergreifung“ der Nazis sollte sich die unglückliche Ausarbeitung des Gesetzes zeigen, da nicht die Republik als Staatsform geschützt wurde, sondern die aktuellen Machthaber zu exekutiver Gewalt gegenüber ihrer Gegner ermächtigt wurden. Doch im Erscheinungsjahr 1922 darf mit ruhigen Gewissen behauptet werden, dass die Richtlinien und Kompetenzen den Erhalt der Demokratie zu sichern vermochten und als Beleg für eine „wehrhafte Republik“ angesehen werden dürfen.
Als Beleg sind hier Dokumente zusammengestellt, welche die Umsetzung und Überarbeitung der Bestimmungen im Raum Kassel und Marburg verdeutlichen sollen. Des Weiteren finden sich hier einzelne Überwachungsdokumente, die verdeutlichen, wie ernst mit verschiedenen extremen Gruppen umgegangen wurde. Das hierbei Linksextreme häufiger in den Fokus rückten als Rechtsextreme ist nicht nur ein Merkmal der Region, sondern der gesamten Republik.