Von Gast (nicht überprüft) , 24 Januar 2025

Marburg im Nationalsozialismus - ein Stadtrundgang

Die vorliegende Ausstellung liefert Materialien zur NS-Geschichte in Marburg. Dabei geht es nicht nur darum, lokal- und regionalgeschichtliche Zugänge zur Geschichte des Nationalsozialismus aufzuzeigen. Vielmehr können zahlreiche Themen der nationalsozialistischen Innenpolitik an ausgewählten Orten beispielhaft verdeutlicht und mit Quellenmaterial so vertieft werden, dass auch allgemeinere Fragen von überregionaler Bedeutung ausgehend von den lokalen Schauplätzen erforscht werden können.

Die in der Ausstellung vorgestellten Orte liegen im Innenstadtbereich und können im Rahmen eines Spaziergangs erlaufen werden. Jeder der vorgestellten Orte ist mit einem thematischen Schwerpunkt verknüpft, der anhand der ausgestellen Materialien eigenständig erforscht und in allgemeinere Zusammenhänge eingebunden werden kann.

Die Ausstellungsräume sind so angeordnet, dass sie im Rahmen eines Rundwegs nacheinander aufgesucht werden können. Die einzelnen Themen können damit in einem chronologischen Zusammenhang erlaufen werden.

Die erste Station "Rudolfsplatz" zeigt den Aufstieg der Marburger NSDAP in den letzten Jahren der Weimarer Republik bis zum Frühjahr 1933.

An der zweiten Station "Rathaus" können die wesentlichen Etappen zur Durchsetzung der NS-Dikatur erkundet werden: die "Machtergreifung" im Rathaus fand hier statt, die "Gleichschaltung" der Presse, die Verfolgung und Ausschaltung der politischen Gegner wurden von hier aus organisiert und durchgeführt.

An der dritten Station "Wettergasse 25" können antisemitische Ausschreitungen, wie sie nach der Boykottaktion vom April 1933 zunehmend stattfanden, an einem einschlägigen Beispiel untersucht werden. Die Ausschreitungen sind spontan und finden ungeregelt statt, treffen aber auf Duldung oder Wohlwollen der Öffentlichkeit und der staatlichen Stellen. 

Die vierte Station "Synagoge Universitätsstraße" dokumentiert die Ausgrenzung der jüdischen Gemeinde bis zum Synagogenbrand am 9. November 1938.

Gleich nebenan in der "Untergasse 17" befand sich die vorletzte Station der jüdischen Schule. Nach den Pogromen vom November 1938 wurden jüdische Schülerinnen und Schüler endgültig vom Besuch allgemeinbildender Schulen ausgeschlossen. Diesen Prozess der Ausgrenzung bis zur Schließung der jüdischen Schule nach Abschluss der Deportationen kann man hier nachvollziehen.

Die sechste Station ist das Ladengeschäft und Haus in der "Barfüßerstraße 26". Am Beispiel des dort bis 1938 ansässigen Manufakturwarengeschäfts der Eheleute Stern kann der gesamte Prozess der staatlich organisierten "Arisierung", d.h. der Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben und der Ausplünderung ihrer Vermögenswerte schrittweise nachvollzogen werden.

Das Landratsamt als nächste Station ("Barfüßer Straße 11") ist der Ort, von dem aus die Deportationen in die Konzentrationslager organisiert und durchgeführt wurden.

In der "Schulstraße" kann zwischen dem "Heinrich-Abel-Haus", dem Gebäude der NSDAP-Kreisleitung in der ehemaligen Otto-Böckel-Straße 12 und der damaligen "Horst-Wessel-Schule" der Zugriff der NSDAP auf Schule, Bildung und den Schulalltag erkundet werden.

Am "Kämpfrasen", dem Exerzierplatz der Jägerkaserne an der Frankfurter Straße, fanden schließlich die großen propagandistisch wichtigen Aufmärsche statt: zum "Tag der nationalen Arbeit" am 1. Mai 1933, bevor am Folgetag die Gewerkschaften zerschlagen und ihr Vermögen beschlagnahmt wurde, die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933, hier wurden auch bis 1937 die Kasernen beidseitig der Frankfurter Straße ausgebaut - zur Kriegsvorbereitung. 

 

 

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Kurztitel
Stadtrundgang Marburg im NS
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5
Räume

Barfüßerstraße 11 (Landratsamt): Organisation und Vollzug der Deportationen

Von Gast (nicht überprüft) , 24 Januar 2025

Im Oktober 1941 begann bereits die systematische Deportation der Juden aus Deutschland, obwohl erst am 20. Januar 1942 auf der sog. "Wannsee-Konferenz" genaue Details zur "Endlösung der Judenfrage" geklärt wurden. Der "Erlass zu Entscheidungen der Judenfrage" von 1939 zeigt, dass die zeitlich vorher gertroffenen Maßnahmen vor allem erst einmal dazu dienten, jüdische Mitbürger aus der Gesellschaft auszugrenzen [Dok. 1]. Dieses Vorhaben sollte mit der "Kennzeichnungspflicht für Juden" von 1941 weiter realisiert werden [Dok. 2 ].

Das Handeln der Behörde im August 1942 spiegelt die Klärung der o.g. Überlegungen wider: Sie gibt die Anweisungen der Gestapo von oben an die Bürgermeister des Kreises wieder, in denen alle Abläufe genau koordiniert sind, um eine "reibungslose Deportation" zu gewährleisten. Dabei werden zwei Aspekte besonders deutlich: Die menschenunwürdige Behandlung der Deportierten - der Versuch, die Betroffenen so lange wie möglich in Unkenntnis ihrer genauen Situation und der auf sie zukommenden Ereignisse zu halten, um das Entstehen von jedweder Unruhe vermeiden. Die sachliche Sprache, in der über das Schicksal von Menschen bestimmt wird, die - schon vollkommen entrechtet - nun den letzten Teil ihrer Existenz zurücklassen müssen, spiegelt verwaltungsmäßige Richtigkeit vor. Hierfür spricht auch die Verwendung des euphemistischen Begriffs "ausgewandert" für den Verbleib der Deportierten, der das wahre Vorgehen verschleiert und das Leid der Opfer zusätzlich verhöhnt [Dok. 3 , 4 , 5 ].
Der zweite Aspekt betrifft die schamlose Aneignung von Wertsachen und Gegenständen, die ganz selbstverständlich beschlagnahmt werden und in den Besitz des Finanzamts übergehen [Dok. 6 ].

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7

Barfüßerstraße 26: Staatlich gelenkte Arisierung ab 1938

Von Gast (nicht überprüft) , 24 Januar 2025
Im Haus Barfüßerstraße 26 befand sich von 1913 bis 1938 das "Spezialgeschäft in Hessischen Landestrachten" von Julius Stern. Neben Trachtenkleidung führte das Geschäft Manufakturwaren, Stoffe sowie "Herren- und Knabenbekleidung". Julius Stern war 1885 in Niederklein geboren, seine Ehefrau Else (geb. Oppenheimer, Jg. 1891) stammte aus Aub in Franken.
Die Geschäftsgründung war erfolgreich: Im Jahr 1918 konnten die Sterns das Haus kaufen, sie vergrößerten das Sortiment und eröffneten 1931ein zweites Geschäft für Betten und Schlafzimmereinrichtungen in der Barfüßerstraße 10.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich das aber schnell: Bereits 1935 mussten die Sterns das zweite Geschäft in der Barfüßerstraße 10 wieder aufgeben. Zweifellos befördert durch die Boykottaktionen der Nazis ab 1933 sanken die Einnahmen in den folgenden Jahren immer weiter, so dass die Sterns bereits ab August 1938 mit dem Ausverkauf ihrer Waren begannen, weil sie das Geschäft zum Ende des Jahres 1938 schließen wollten.
Dieses Vorhaben konnten sie jedoch nicht mehr selbstständig ausführen, der NS-Staat kam ihnen zuvor. 
 
Nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 erfolgte der systematische staatliche Zugriff auf das zu diesem Zeitpunkt noch vorhandene Vermögen der deutschen Juden. Am Beispiel der Familie Stern, die zu den wenigen wohlhabenderen jüdischen Familien in Marburg gehörte, zeigen die folgenden Dokumente die systematische Ausplündung dieses Teils der deutschen Bevölkerung, nachdem man diese Gruppe zuerst definiert und dann Schritt für Schritt unter Sonderrecht gestellt hatte.
 
Julius und Else Stern hatten zwei Kinder: Hans und Margot. Nachdem beide Kinder schon bis 1938 zur Ausbildung in die USA geschickt wurden und dort bei Verwandten untergekommen waren, gelang Julius und Else Stern im Oktober 1939 schließlich ebenfalls die Ausreise in die USA. Da der Familie durch die systematische Enteignung des Vermögens keine Mittel mehr verblieben waren, konnte die Mutter von Else Stern, die Witwe Ernestine Oppenheimer, die seit Februar 1938 bei der Familie in Marburg gewohnt hatte, offenbar nicht mehr in die USA nachgeholt werden. Ernestine Oppenheimer wurde nach Minsk deportiert und ist dort vermutlich dem Mordprogramm zum Opfer gefallen.
 
 
 
 
 

Literatur: 
  • Händler-Lachmann, Barbara und Werther, Thomas: Vergessene Geschäfte, verlorene Geschichte. Jüdisches Wirtschaftsleben in Marburg und seine Vernichtung im Nationalsozialismus, Marburg 1992
  • Hessisches Institut für Lehrerfortbildung (Hrsg.): Marburg im Nationalsozialismus. Materialien für eine zeitgeschichtliche Stadterkundung, zusammengestellt von Michael Heiny, Amélie Methner und Susanne Fülberth, Fuldatal und Marburg 1997
 
 
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6

Kämpfrasen: Aufmarschplatz, Kasernenbau

Von Gast (nicht überprüft) , 24 Januar 2025
Der heute mit Wohnungen bebaute Kämpfrasen war in den 1930er Jahren noch eine freie Fläche; er diente dem in der Jägerkaserne stationierten Militär als Übungsraum und Ort für Vereidigungen. Die Nationalsozialisten benutzten ihn zudem als Aufmarschplatz und Ort für Kundgebungen. Noch vor dem Ersten Weltkrieg entstand auf dem Kämpfrasen der erste Block der neuen Jägerkaserne, die sich ursprünglich oberhalb des Kämpfrasens befunden hatte. In den 30er Jahren wurde mit dem neuen Kasernenbau auf dem Gelände des Kämpfrasens begonnen.
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9

Rathaus: Verfolgung politischer Gegner und Gleichschaltung

Von Gast (nicht überprüft) , 24 Januar 2025

Am Beispiel Marbugs lässt sich die NS-Gleichschaltung nachvollziehen; z.B. demonstrieren die Wahlergebnisse der Reichstagswahl vom 5. März 1933, dass die Marburger Bevölkerung die nationalsozialistische Entwicklung überwiegend begrüßte [Dok. 1].

Zur ersten Machtprobe in der Stadt kam es nur wenige Tage später, als der Marburger Bürgermeister im Flaggenstreit mit der SA unterlag und seinen Rücktritt erklären musste [Dok. 2, 7]. Das Ergebnis der sich anschließenden Stadtverordnetenwahl zeigt das Vertrauen, dass die Marburger auch im Stadtparlament in die NSDAP setzten [Dok. 3].

Die Folgen, die diese Entscheidung für Abgeordnete anderer Parteien und die Stadt Marburg hatte, zeigen die Dokumente 8, 9 und 10.

Auch die Marburger Presse wurde gleichgeschaltet; hier am Beispiel des Hessischen Tageblatts des Verlegers Hermann Bauer - nach Besetzung durch die SA und Zensurauflagen musste die Zeitung ihr Erscheinen schließlich einstellen [Dok. 4, 5, 6, 11].

Mit dem Dokument 12 beginnt der Komplex "Schutzhaft": Der Reichstagsbrand vom 28.02.1933 zog Maßnahmen nach sich, die auch in Marburg spürbar waren, wo zeitgleich Durchsuchungen und Verhaftungen, besonders von KPD- und SPD-Funktionären, begannen [Dok. 12, 13, 14, 15, 17, 18, 19, 20, 21 , 22, 24]. Es wurden so viele Verhaftungen vorgenommen, dass der Marburger Gefängnisdirektor schließlich eine Überbelegung beklagte und um andere Unterbringungsmöglichkeiten bat [Dok. 23]. Im Juni wurde deshalb in der Landesarbeitsanstalt Breitenau ein Konzentrationslager eingerichtet [Dok. 28]. Im April 1933 ebbte die erste Verhaftungswelle, die angeblich der "nationalen Sicherheit" diente, ab und Entlassungen folgten [Dok. 26, 27]. Um auf die Entlassenen jedoch weiter Druck ausüben zu können, mussten diese eine Erklärung unterschreiben, sich nicht weiter staatsfeindlich zu betätigen [Dok. 16, 25]. Zur Kontrolle und Überwachung legte man aber "Personalakten" an [Dok. 32], und gab Tipps, wie am unaufälligsten Briefe zu öffnen waren. Dokument 33, 29 und 31 belegen, dass viele Verhaftungen nur aufgrund von Denunziationen aus dem persönlichen Umfeld zustande kamen; auch eine praktische Möglichkeit, missliebige Konkurrenten auszuschalten. Dokument 34 und 35  zeigen Fotografien der Rathausschirn, wo politische Häftlinge oft zuerst inhaftiert wurden, und des Kilians, der eine Außenstelle der Gestapo beherbergte.

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2

Schulstraße: Schule und Jugend im NS

Von Gast (nicht überprüft) , 24 Januar 2025
'Horst-Wessel-Schule' [OUS], 'Adolf-Hitler-Schule' [MLS], 'Schlageter-Schule' [FES] - die Umbenennung der städtischen Schulen am 4. April 1933 machte ihre Vereinnahmung durch den neuen Staat deutlich. Die Lehrer und Lehrerinnen sollten deshalb auch keine Individuen mehr erziehen, sondern innerhalb der Schülerschaft das Gefühl für die Gemeinschaft, für das "Ganze" wecken [Dok. 1 und 2 ], damit auch die Schulgemeinde ein Teil der Volksgemeinschaft werden konnte. Daher wurden die SchülerInnen auch zu zahlreichen Feiern in die Aula zusammengerufen, um gemeinsam etwa dem Geburtstag Hitlers oder den Richard Wagners zu begehen sowie Übertragungen des Führers im Radio zu hören. Auf diese Weise sollte  es den SchülerInnen leichtfallen, sich mit dem NS-Staat zu identifizieren.
Um sicherzustellen, dass die Lehrer auch ganz im neuen weltanschaulichen Sinne unterrichteten, mussten sie nun dem Führer ihre "Treue" geloben [Dok. 3 ] und Lehrgänge zur "geistigen Umschulung" besuchen [Dok. 4 , 5 , 6 und 7]. Lehrer, die sich nicht als politisch zuverlässig erwiesen oder "rassischen" Kriterien nicht entsprachen, konnten mithilfe des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 leicht aus dem Schuldienst entfernt werden, wie Dokument 8 belegt.
Die Dokumente 9, 10 und 11 zeigen, auf welche Weise eine Auseinandersetzung der Schüler und Schülerinnen mit Themen der NS-Weltanschauung im Unterricht stattfand, besonders anschaulich die Abituraufgaben aus dem Jahr 1941 [Dok. 12 ].
Die Aufgabe der Schule ist nicht nur, SchülerInnen im Sinne der NS-Weltanschauung zu erziehen, sondern auch solche zu bestimmen, die die nächste Schülergeneration erziehen sollen. Daher dokumentiert die Schule nicht nur Leistungen, sondern auch Charaktereigenschaften ihrer Schülerschaft [Dok. 15 ] - Informationen, die der Staat gut gebrauchen kann und für sich nutzen möchte [Dok. 13 ]. Lehrer bzw. Lehrerinnen sollen deshalb nur noch solche Jungen und Mädchen werden, die von der Schule und der Partei "ausgelesen" wurden [Dok. 14 ]. Vorbedingung ist natürlich der Beitritt zum BDM bzw. zur HJ. In den Junitagen des Jahres 1933 fand ein erstes großes Treffen von HJ-Gruppen in Marburg statt [Dok. 16 ], der Artikel in der Oberhessischen Zeitung erläutert die neuen Aufgaben der Jugend außerhalb der Schule [Dok. 17 ].
 
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1366
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8

Synagoge Universitätsstraße

Von Gast (nicht überprüft) , 24 Januar 2025

Am frühen Morgen des 10. Novembers 1938 wurde die Feuerwehr zur brennenden Synagoge in der Universitätsstraße gerufen. Hier angekommen, war sie weniger darum bemüht, den Brand zu löschen, sondern versuchte lediglich, die umliegenden Häuser vor einem Übergreifen der Flammen zu schützen. Da das Dach bereits einstürzte, entschied sie sich dazu, weitere Fakten zu schaffen und sprengte die Kuppel des Gebäudes [Dok. 3 , 6 ]. Der  Synagogendiener erstattete Anzeige wegen Brandstiftung [Dok. 4 ], die Täter konnte oder wollte die Staatsanwaltschaft jedoch nicht ermitteln [Dok. 5 , 6, 7 ]. Erst nach dem Ende des Krieges bemühte sich die Staatsanwaltschaft um eine neue Aufnahme des bereits zu den Akten gelegten Verfahrens [Dok. 7 ]. Als staatliche Reaktion auf die November-Pogrome erfolgte die sog. "Judenaktion" vom 10. November, bei der deutschlandweit mehr als 30.000 männliche Juden in Konzentrationslager verschleppt und dort z.T. monatelang inhaftiert wurden [Dok. 8 ,9 ,11 ]. Der Marburger Gerson Isenberg wurde nur wenige Tage nach seiner Verhaftung im KZ Buchenwald ermordet [Dok. 10 ].

Wie die Strafanzeige eines Marburger Kaufmanns [Dok. 2 ] beweist, gab es aber bereits vor dem 9. November einen Anschlag auf die Synagoge. Als Begründung für die Pogrome musste der Mord Herschel Grynszpans an dem Legationssekretär Ernst vom Rath am 7. November in Paris herhalten.

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1362
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4

Untergasse 17: Jüdische Schule und Ghettohaus

Von Gast (nicht überprüft) , 24 Januar 2025

"Die Synagoge, in der die jüdische Schule war, ist abgebrannt."[Dok. 1 ] Ein neuer Schulraum musste gefunden werden [Dok. 3 ], denn ab dem 15. November 1938 war es jüdischen Schülerinnen und Schülern nicht mehr erlaubt, in "deutsche" Schulen zu gehen [Dok. 2 ]. Als Begründung musste das Attentat Herschel Grynszpans auf einen deutschen Diplomaten herhalten, das auch als Anlass zur Reichspogromnacht diente - der Nacht, in der auch die Synagoge Marburgs einfach "abgebrannt" war. Lehrer Pfifferling bemühte sich darum, im Auftrag des Schulamts abgelegene Räumlichkeiten zu finden [Dok. 4 ]. Auf die Schnelle konnte jedoch  nur ein Raum in einem Haus in der Untergasse 15 [heute 17] ausfindig gemacht werden, das einem jüdischen Metzger gehörte, der aber schon 1936 verstorben war [Dok. 5 ,6 ].Um eine weitere Ausgrenzung voranzutreiben, wurde schließlich die "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" geschaffen, die fortan konkrete Anordnungen erhielt, wie sie u.a. das jüdische Schulwesen zu organisieren hatte;. Unterstützung vom deutschen Staat sollte es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr geben [Dok. 7 , 8 ]. In diesem Zuge wurde Lehrer Pfifferling kurzer Hand zwangspensioniert; ein knappes halbes Jahr später durfte er aber wieder unterrichten [Dok. 9 , 10 ].

Im Herbst 1940 musste die im Frühling in die "abgelegenere" Schwanallee umgezogene jüdische Privatschule schließen [Dok. 11 , 12 ], wie weitere jüdische Schulen im Bezirk Kassel [Dok. 13 ].

Das Haus in der Schwanalle 15 galt außerdem als "Ghetto- bzw. Judenhaus"; das "Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden" vom 30. April 1933 erleichterte es den Nazis, jüdische Mitbürger aus ihren angestammten Wohnungen oder Häusern zu verteiben und dort unterzubringen, wo bereits andere Juden lebten [Dok.14 ]. Damit diese auch immer als Juden sichtbar waren, mussten sie den sog. "Judenstern" tragen. Dokument 15 führt die Stigmatisierung fort, denn neben Personen waren nun auch Wohnungen, in denen jüdische Mitbürger lebten, zu kennzeichnen.

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1363
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5

Wettergasse 25: Antisemitische Ausschreitungen vor 1938

Von Gast (nicht überprüft) , 24 Januar 2025

Die Anordnung "Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" beendete die jüdische Beteiligung am Marburger Wirtschaftsleben endgültig. Doch bis 1938 waren bereits viele Betriebe "arisiert" oder "liquidiert" worden, denn schon kurz nach dem Machtantritt riefen die Nationalsozialisten zu Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte und ihre Inhaber auf; der am 29.03.1933 in der Marburger Oberhessischen Zeitung erschienene Artikel liefert die vermeintliche Rechtfertigung dafür [Dok. 1 ]. 

Einen Tag später reagiert die jüdische Gemeinde Marburgs auf die in der Stadt vorgenommenen Maßnahmen [Dok. 2]. Ihre Erklärung, vermutlich mit dem Ziel geschrieben, weitere Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung abzuwenden, bleibt ohne Wirkung: Noch am gleichen Tag ergeht ein Boykottaufruf der NSDAP für den 1. April [Dok. 3], dessen Durchführung in Marburg kurz darauf in der OZ beschrieben wird [Dok. 4].

Zwei Jahre später, am 09.04.1935, zeigt sich, dass Teile der Marburger Bevölkerung nicht nur dazu bereit sind, jüdische Geschäfte zu meiden, sondern sich sogar an Ausschreitungen gegen diese Geschäfte und ihre Inhaber beteiligen. Josef Spinat, der polnischer Staatsbürger war und in der Wettergasse 25 einen Schuhladen unterhielt, entschied sich vor der Schließung seines Ladens aufgrund rückläufiger Umsätze zu einem Ausverkauf. Im Zuge dessen verbreitete sich das Gerücht, Spinat habe weitere Schuhe hinzugekauft, um den Räumungsverkauf hinauszuzögern, was sich später als vollkommen haltlos herausstellte. 

Die Dokumente 5 und 6 schildern den Ablauf der Ausschreitungen sowie den Zustand des Hauses nach dem Überfall.

Einige Studenten konnten von der Polizei in der Wettergasse identifiziert werden; in ihren Zeugenaussagen [Dokumente 7, 8 und 9] weisen sie jedoch jegliche Verantwortung von sich.   

Im Dokument 10 kommt Josef Spinat selbst zu Wort: Er schildert in seinem Strafantrag gegen Unbekannt, wie er den Übergriff erlebt hat.

Die Zeugenaussage eines weiteren Studenten beleuchtet noch einmal die Vorgänge in der Wettergasse während des Überfalls und danach. [Dok. 11]. Einen Einblick in das Geschehen im Ladeninneren während des Überfalls gewähren die Zeugenaussagen dreier Mitarbeiterinnen des Schuhhauses [Dok. 12 ].

Die Dokumente 13 , 14 , 15 und 16 zeigen den z.T. unmotivierten Umgang der Behörden mit dem Vorfall, der 1936 eingestellt wird.   

Das Amtsgericht Marburg sprach Spinat als Entschädigung lediglich einen Betrag von 834 RM zu - den Spinat offensichtlich nie erhalten hat -, obwohl er selbst den Schaden mit einem Wert von 11954,70 RM angab. Josef Spinat entschloss sich im Jahr 1936 zur Übersiedlung nach Palästina (Vgl. zu letzterem: Händler-Lachmann, Barbara / Werther, Thomas: Vergessene Geschäfte, verlorene Geschäfte. Jüdisches Wirtschaftsleben in Marburg und seine Vernichtung im Nationalsozialismus. Marburg 1992.)

 

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1361
Reihenfolge
3